Medien-Preis 2022
Meine Damen und Herren,
ich wünschte, dass unsere Preisverleihung nach zwei Jahren Pandemie heute Abend noch etwas unbeschwerter stattfinden könnte.
Seit fast drei Monaten zwingt uns der brutale Krieg Russlands gegen die Ukraine, die Augen für Wahrheiten zu öffnen, die viele von uns nur aus Geschichtsbüchern kennen.
Wer hätte es für möglich gehalten, dass die Architektur der europäischen Nachkriegsordnung, dass unser „gemeinsames Haus Europa“ einmal wieder so gefährdet sein könnte, und das dauerhaft?
Bereits 2013, so schrieb der verstorbene Außenminister Guido Westerwelle in seinem Buch „Zwischen zwei Leben“ –, hätten ältere Diplomaten die Stabilität einer ganzen Region in der Mitte Europas in Gefahr gesehen. Anfang 2014 kam es dann zur gewaltsamen Niederschlagung der friedlichen Proteste auf dem Kiewer Maidan, wenig später folgte die Annexion der Krim durch Russland.
Der Herbert Quandt Medien-Preis 2022 geht an:
- Michael Schindhelm für seine Dokumentation „Mit Lichtgeschwindigkeit zum Impfstoff – Das Projekt BioNTech“, ausgestrahlt auf ARTE
- Dominic Egizzi und Tom Häussler für ihre Dokumentation „Geld her oder Daten weg! Wie Hacker die Wirtschaft erpressen“, ausgestrahlt auf 3sat/Makro
- Jennifer Wilton für ihre Reportage „Neue deutsche Bäcker oder die Renaissance des Brotes“, erschienen in der Welt am Sonntag
- Conrad Lay für seinen Hörfunk-Beitrag „Grüne Bilanzen – Eine Feature über nachhaltiges Rechnen im Bio-Landbau“, ausgestrahlt in hr2-Feature.
Rund 250 Einreichungen hat die Johanna-Quandt-Stiftung 2022 erhalten. Der Preis ist mit insgesamt 50.000 Euro dotiert.
Wir gratuliert allen Preisträgern ganz herzlich!
20.000 Euro Preisgeld für Michael Schindhelm
Michael Schindhelm erhält den Herbert Quandt Medien-Preis 2022 für seine Dokumentation „Mit Lichtgeschwindigkeit zum Impfstoff“, ausgestrahlt am 30.10.2021 auf ARTE. Die Auszeichnung ist mit einem Preisgeld von 20.000 Euro verbunden.
Von der Erforschung zur serienreifen Vermarktung – dem Forscherteam um die Mainzer Wissenschaftler Uğur Şahin und Özlem Türeci gelingt es in Rekordzeit, einen auf mRNA-Technologie basierenden Impfstoff gegen das Corona-Virus zu entwickeln. Michael Schindhelm erzählt die unglaubliche Erfolgsgeschichte mitreißend und authentisch. Er begleitet die beiden Wissenschaftler und Unternehmer auf ihrer Reise von der Forschung und Entwicklung bis hin zum marktreifen, zugelassenen Produkt. Schindhelm gelingt es, das hochkomplexe Thema mit persönlichen Interviews anschaulich zu gestalten und dem erfolgreichen Forscher-Paar nahezukommen.
- Laudator Horst von Buttlar, Preisträger Michael Schindhelm, Kuratoriumsvorsitzender Stefan Quandt
"Ein Glücksfall für uns alle"
Wenn wir in diesen Tagen auf die Welt und die Wirtschaft schauen, sehen wir vor allem Krise, und nicht nur eine, sondern mehrere Krisen, die sich überlagern und ballen, zu einem Krisenknäuel, so dass man manchmal gar nicht weiß, wo Krisenmanagement aufhört und wo es anfängt. Die Lage ist für viele Unternehmen ein fortwährender Stresstest und wir dürfen gespannt sein, wann wir das Wort Lieferketten mal wieder ohne dieses Adjektiv „angespannt“ benutzen werden. Wenn ich an die vergangenen Jahre denke, an die Zeit seit März 2020, was Unternehmen leisten mussten, wie sie sich neu aufstellen mussten, wie sie gezwungen waren zu Veränderungen, dann kann man das Ganze auf einen Begriff bringen: Anpassungsfähigkeit. Viel Mut, viel Innovation, ein bewundernswerter Aufbau von Resilienz.
Aus all diesen unternehmerischen Entscheidungen und Innovationen ragt aber eine hinaus: Es war die Entscheidung des Unternehmerehepaars Ugur Sahin und Özlem Tureci – der Plan, innerhalb von wenigen Stunden und Tagen alles auf eine Karte zu setzen, zu einem sehr frühen Zeitpunkt, und die Kraft des gesamten Unternehmens auf ein Projekt zu konzentrieren, die Suche nach einem Impfstoff für eine globale Pandemie.
Diese Entscheidung wird einmal in Business Schools gelehrt werden. Es war eine Entscheidung, die als Einzelposten in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung von Deutschland, der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt, sichtbar sein würde.
Wir kennen diese Geschichte, zumindest in groben Zügen, und wir kennen das Ergebnis, den Ausgang. Es ist also eine Kunst, hier noch einmal Mehrwert zu liefern, eine Geschichte zu finden, die näher dran ist und tiefer drin ist. Das ist Michael Schindhelm gelungen. Sein Film macht sich auf die Spuren dieser Entscheidung, er schaut tiefer und genauer hinter die Kulissen – und die Kultur von Biontech.
Zum einen in ausführlichen, sehr authentischen Interviews – und alle Journalisten wissen, wie kurz die Zeit ist, die man mit beiden BioNTtech Gründern verbringen kann, weil sie jede Minute im Labor sein und nicht mit Journalisten reden wollen –, was auch schon wieder eine kluge Entscheidung ist.
Aber die beiden haben Michael Schindhelm Zeit gegeben. Doch nicht nur die Gründer. Eine Stärke des Filmes ist, dass er mit sehr viel mehr Protagonisten spricht, mit Managerinnen und Managern, Forscherinnen und Forschern aus der zweiten und dritten Reihe, mit eher unbekannten Schlüsselfiguren – und auch mit dem Investoren-Zwillingspaar Strüngmann. Die sicherlich ein Glücksfall für das Unternehmen – und uns alle waren.
Und so zeichnet er nochmals ein umfassendes Bild dieses unternehmerischen Glanzstücks. Der Autor hat gesagt, dass er eine Heldengeschichte erzählen wollte, und das ist ihm gelungen – ohne das Ganze zu inszenieren oder zu dick aufzutragen. Der Film ist nicht kitschig oder gar dramatisch, er kommt den Protagonisten einfach noch einmall sehr nahe. Angesichts der Fülle an Portraits und Interviews und Büchern, die geschrieben wurden, ist das eine große Leistung. Im Ergebnis wird man bei jeder Recherche im Archiv zu BioNTtech nicht um diesen Film herumkommen.
Das Interessante ist, dass mit dem Ergebnis dieser Entscheidung das Unternehmen für die kommenden Jahre durchfinanziert ist, um sich der eigentlichen Mission zu widmen: die mRNA-Technologie in der Krebsforschung einzusetzen. Das wird ein längerer Weg, auch mühsamer – man würde sich fast wünschen, dass man auch diesen Weg filmisch über längere Zeit begleitet!
Aber heute geht es nur um das Projekt "Lichtgeschwindigkeit". Selten war sich die Jury so schnell einig, dass dieser Film gesetzt ist, weil er das leistet und einlöst, was das Kernanliegen des Herbert Quandt Medien-Preises ist.
Diese filmische und journalistische Leistung zeichnen wir mit Freude mit dem Herbert Quandt Medien-Preis und 20.000 Euro Preisgeld aus. Herzlichen Glückwunsch an Michel Schindhelm!
10.000 Euro Preisgeld für Dominic Egizzi und Tom Häussler
Das Autorenteam Dominic Egizzi und Tom Häussler wird für seine am 14.12.2021 in 3sat/Makro ausgestrahlte Dokumentation „Geld her oder Daten weg! Wie Hacker die Wirtschaft erpressen“ mit dem Herbert Quandt Medien-Preis 2022 und einem Preisgeld von 10.000 Euro ausgezeichnet.
Der erfolgreiche Angriff mittels Ransomware auf die IT-Infrastruktur großer Firmen bedeutet in der Regel einen Systemausfall mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen. Am Beispiel der Funke Mediengruppe und des Modelabels Marc O’Polo zeichnen Dominic Egizzi und Tom Häussler Cyberangriffe und deren desaströse Auswirkungen nach.
Selbstkritisch hinterfragen die Unternehmen gegenüber den Journalisten ihre bisherigen Schutzmaßnahmen. Ermittler und Experten analysieren die Vorgehensweisen der Hacker. So verdeutlicht die Dokumentation, wie angreifbar unsere digitale Arbeitsweise nicht zuletzt durch den Faktor Mensch ist. Dank der Offenheit der betroffenen Unternehmen gelingt den Autoren ein seltener und umso beeindruckenderer Einblick in das Risikomanagement und die Arbeit von Krisenstäben in Unternehmen.
Im Netz: Geld her oder Daten weg! (zdf.de)
- Laudatorin Tanit Koch, Preisträger Dominic Egizzi, Kuratoriumsvorsitzender Stefan Quandt
"Eine schmerzhafte Lernerfahrung"
Düsseldorf 2020: Eine schwerkranke Frau stirbt, weil der Rettungswagen sie nicht in die Uniklinik, sondern in ein weiter entferntes Spital in Wuppertal bringen muss – die Fahrt dauert eine Stunde länger. Einen Tag zuvor war das größte Krankenhaus der Stadt Opfer eines Hackerangriffs geworden. 30 Server wurden verschlüsselt, die Klinik war zwei Wochen lahmgelegt. Die Spur der Cyber-Erpresser führt nach Russland.
Man braucht nicht viel Fantasie, um sich Szenarien vorzustellen, wie Attacken auf die kritische Infrastruktur – Kliniken, Energieversorger, Verkehrsnetze – unser Land ins Chaos stürzen könnten. Erst recht, seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine auch die Verwundbarkeit unserer Gesellschaft offensichtlich gemacht hat.
24 Milliarden Euro Schaden im Jahr entstehen deutschen Unternehmen durch digitale Lösegelderpressung. In der Summe ist das vergleichbar mit dem Gesundheitsetat im Bundeshaushalt für das Corona-Jahr 2021. In der öffentlichen Wahrnehmung nicht.
Es gibt gut 45 Millionen Erwerbstätige in Deutschland. Das sind ungefähr 45 Millionen Einfallstore für Cyberkriminalität. Und dennoch ist Cybersecurity für viele ganz weit weg. Pin-Codes und Passwörter enthalten noch immer irgendwie das Geburtsdatum – und mancher kommt sich schon gewieft vor, wenn es nicht das eigene, sondern das Geburtsdatum von Kindern oder Ehepartner ist.
Anders als im Straßenverkehr sind unsere Reflexe im Datenverkehr nicht ansatzweise auf Vorsicht getrimmt. Warum? Weil zu wenig darüber geredet wird, wie gefährlich diese Form des Verbrechens tatsächlich ist – für die Unternehmensbilanz, aber mehr noch für uns alle.
Mit ihrem Dokumentarfilm geben die Autoren Dominic Egizzi und Tom Häussler diesem hochrelevanten Thema die Aufmerksamkeit, die sonst fehlt. Sie bringen die Ransomware-Attacken in unseren Alltag. Raus aus den Unternehmen. In die Fußgängerzonen. Wo die Mitarbeiter von Modefilialen plötzlich die digitalen Kassen nicht mehr bedienen können.
Cyberkriminalität wird greifbar, weil die Opfer einen Namen und ein Gesicht erhalten. Mit dem Unternehmen Marco Polo und dem Funke Verlag waren gleich zwei Cyber-Erpressungsopfer bereit, sich vor die Kamera des Teams von Dominic Egizzi und Tom Häussler zu setzen.
Im Film klang es gerade schon an: Die Hürden, sich als Hacker-Opfer zu outen, sind ungemein hoch. Die Sorge in ansonsten hochprofessionell arbeitenden Betrieben ist groß, unprofessionell zu wirken, noch mehr Schaden zu nehmen. Der Vorgang ist unangenehm, peinlich, schambehaftet – und oft auch einfach sehr teuer.
Doch Journalismus ist, genau das zu beleuchten, worüber Menschen nicht so gern sprechen möchten. Und das ist die Leistung der Dokumentarfilmer: Dass zwei Unternehmen sich als Verbrechensopfer einem Massenpublikum vorstellen. Man ahnt, dass das sehr, sehr viel Vertrauen zu denen voraussetzt, die für dieses Publikum berichten. Dieses Vertrauen aufgebaut zu haben ist das Verdienst der Autoren, und genau das ist herausragender Journalismus.
Da ist kein Fingerzeigen, kein Bloßstellen – sondern im Gegenteil die ernsthafte und faire Würdigung unternehmerischen Handelns in einer Krisensituation. Glaubwürdig, ohne eine Sekunde langweilig zu sein.
Im Gegenteil: Die beiden Dokumentarfilmer machen das Dazulernen spannend – sogar visuell. Die Täter sind zwar unsichtbar, und blockierte Server und Daten sind, sagen wir mal, nicht so richtig bildstark.
Doch die Autoren nehmen uns mit auf Razzien, wir schauen einem "guten" Hacker über die Schulter (Donald Ortmann – er ist heute hier, ich hoffe, die Hotel-IT ist vorgewarnt), und vor allem überträgt sich die Fassungslosigkeit und die Wut der Protagonisten 1:1 auf die Zuschauer.
Wer hätte gedacht, dass Cyber-Erpresser sogar so dreist sind, einen Weihnachtsrabatt anzubieten?
Und schließlich, was uns auch bei der Kuratoriumssitzung sehr bewegt hat: Dominic Egizzi und Tom Häussler lenken den Scheinwerfer nicht nur auf das unternehmerische Drama, sondern auch auf die Sternstunden der Belegschaft.
Marc O'Polo-Mitarbeiter, die in Windeseile Rechnungsblöcke im Schreibwarenladen kaufen, sich mit Kulis bewaffnen und auf analog umstellen. Die Verlagsangestellten bei Funke, die trotz Daten-Blindflug ihre Zeitung herausbringen – in Notproduktion, aber sie erscheint.
Hat der auf 3sat ausgestrahlte Dokumentarfilm “Geld her oder Daten weg” also den Mehrwert, von dem Tom Häussler gerade sprach? Den hat er absolut. Und glücklicherweise ist er noch in der Mediathek und kann weiter dazu beitragen, dass weniger Unternehmen diese so schmerzhafte Lernerfahrung machen.
Dieser Mehrwert, vor allem aber die bemerkenswerte journalistische Leistung ist uns den Herbert Quandt Medien-Preis wert – dotiert mit 10.000 Euro.
Unser herzlicher Glückwunsch an:
Dominic Egizzi und Thomas Häussler.
10.000 Euro Preisgeld für Jennifer Wilton
Jennifer Wilton erhält den Herbert Quandt Medien-Preis für ihre Reportage „Neue deutsche Bäcker oder die Renaissance des Brotes“, erschienen am 07.11.2021 in der Welt am Sonntag. Der Beitrag wird mit 10.000 Euro ausgezeichnet.
Vier unterschiedliche Biografien: die Studentin, die im Studium nicht ihre Erfüllung findet, der Promi-Bäcker, der manchmal eben doch mehr will, als nur Brot zu backen, der Bio-Bäcker, der sich im richtigen Moment gegen Wachstum entscheidet, und ein Mann mit Zuwanderungsgeschichte, für den die Kunst des Backens eine neue Heimat bedeutet. Alle vier verbindet die Liebe zu der alten Handwerkskunst, „reines Brot“ zu backen.
Jennifer Wiltons Reportage lässt eine Vielzahl von Bildern im Kopf entstehen. Sie macht ihre Leserinnen und Leser mit außergewöhnlichen Protagonisten bekannt, die ihre ganz eigene Geschichte mit dem Backhandwerk haben und ihren Beruf auf authentisch-sympathische Art leben.
Im Netz: Neue deutsche Bäcker (welt.de)
- Laudatorin Michaela Kolster, Preisträgerin Jennifer Wilton, Kuratoriumsvorsitzender Stefan Quandt
"Das pure Glück"
Deutsches Brot – ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich habe da gleich Kopfkino – von einer guten Kruste und dem weichen Inneren – vom Duft ganz zu schweigen. Es ist etwas Besonderes das Deutsche Brot – es ist sogar immaterielles Weltkulturerbe der Unesco.
Deutsches Brot verbinde ich immer besonders mit meiner Tante. Meine Tante ging Mitte der 50er Jahre als Aupair-Mädchen nach Frankreich, sie lernte dort ihren späteren türkischen Mann kennen, mit dem sie zuerst nach Istanbul ging, um drei Jahre später mit ihm nach Toronto auszuwandern. Nach sieben Jahren war es meinem Onkel da schlicht zu kalt und so zog man – mittlerweile zu dritt – weiter nach Kalifornien, wo heute alle noch leben.
64 Jahre ist meine Tante also nun im Ausland, und sie ist das gerne, käme nicht auf den Gedanken zurückzukehren. Aber trotz dieser vielen Jahre ist ihr immer eine Sehnsucht geblieben: die nach echtem Deutschem Brot. Das hat sie nie losgelassen und wenn sie dann tatsächlich mal so richtiges Deutsches Brot bekommt – dann hat sie diesen Gesichtsausdruck – wie soll ich den beschreiben?
Aus ihrem Gesicht spricht dann das pure Glück.
Brot löst also Sehnsüchte aus – aber es ist ja noch viel mehr als nur ein Nahrungsmittel, es hat auch schon mal den Weltenlauf verändert. Brot ist Lebensgrundlage im ursprünglichsten Sinne und kein Brot, heißt Hunger und kann erhebliche politische Folgen haben, kann Revolutionen oder gar Kriege auslösen. Die Französische Revolution ist da so ein Beispiel oder um den Bogen zu heute zu schlagen: Der Krieg gegen die Ukraine und damit gegen die Kornkammer der Welt, hat massive Auswirkungen auf die Preise und die Versorgung der Menschen mit dem wichtigsten Grundnahrungsmittel. Keine Bagatelle also – Brot steht für das Leben an sich.
Jennifer Wilton hat sich aufgemacht, einen zarten Trend zu erkunden. Denn es gibt wieder mehr Bäckereien – so echte Bäckereien – sie meint nicht die Supermarktketten, die industriell vorgefertigte Teige in den Ofen schieben. Sie meint die Bäcker, die nicht anders können als einfach nur gutes Brot zu backen.
Vier Bäcker*innen hat Jennifer Wilton aufgesucht – quer verteilt in der Republik – in der Stadt und auf dem Land, und alle haben eins gemein: Ihr Weg verlief alles andere als gradlinig. Einer wusste zwar schon mit acht, dass er nur eins will: Brot backen, das hat anfangs geklappt und dann wieder nicht – und dann wieder doch und, wie es heute so läuft, weiß man nicht so ganz. Ein anderer kommt aus der Türkei und entdeckt seine Leidenschaft für die deutsche Bäckertradition, obwohl er mit Fladenbrot aufgewachsen ist. Eine andere hat eigentlich BWL studiert, um dann festzustellen, dass sie etwas mit den Händen machen muss, und nun steht sie täglich mit ihrem Mann in der Backstube und ist glücklich. Ein anderer zieht in ein Dorf im nördlichen Brandenburg, macht dort eine Backstube auf, um dann sein Brot aber doch nach Berlin zu fahren.
Diese vier Portraits erzählen von einer Leidenschaft, die zum Unternehmertum führt, nicht immer ist es eine Erfolgsgeschichte, aber die meisten sind es schon. Jennifer Wilton erzählt aber auch davon, dass Erfolg manchmal überfordern kann, weil man die große Nachfrage dann schlicht nicht schafft. Denn diese neuen Bäcker haben vor allem deshalb Erfolg, weil sich immer mehr Menschen ein wirklich gutes Brot wünschen mit natürlichen Zutaten, ohne Chemie und Zusatzstoffe, und so stehen die Kunden mit viel Geduld in langen Schlangen vor diesen kleinen Läden.
Jennifer Wilton ist es mit ihren Portraits gelungen, uns diese kleine Pflanze – diesen kleinen Trend der neuen Bäckereien und ihre sympathischen Macher näherzubringen. Man liest sie gerne, diese Geschichten, die uns die Irrungen und Wirrungen, die Sorgen und Nöte, aber vor allem die Leidenschaft des Unternehmertums verdeutlichen. Und wir lernen im Kleinen vom großen Ganzen.
Wir alle in der Jury waren uns einig: Das ist preiswürdig! Und so gratulieren wir sehr herzlich Jennifer Wilton.
10.000 Euro Preisgeld für Conrad Lay
Conrad Lay wird für seinen Hörfunkbeitrag „Grüne Bilanzen – Ein Feature über nachhaltiges Rechnen im Bio-Landbau“, ausgestrahlt am 21.04.2021 in hr2-Feature, mit dem Herbert Quandt Medien-Preis 2022 und einem Preisgeld von 10.000 Euro ausgezeichnet.
Tierwohl, Biodiversität, Bodenfruchtbarkeit – ökologische Landwirtschaft zu betreiben ist aufwendig, und nicht immer können höhere Kosten auf den Verkaufspreis umgelegt werden. Würden die Leistungen des Bio-Landbaus wie Boden- und Gewässerschutz in die Bilanz miteinbezogen und im Umkehrschluss die im konventionellen Bereich entstandenen Umweltschäden eingerechnet, wären - so eine These des Beitrags - konventionelle Produkte für die Allgemeinheit bereits heute teurer als biologisch erzeugte Lebensmittel.
Doch nachhaltiges Wirtschaften findet bisher fast keine Berücksichtigung in den Bilanzen. Conrad Lay macht sich auf den Weg und erklärt seinen Hörerinnen und Hörern mit plastischen O-Tönen, warum ein Umdenken bei der Bilanzierung der landwirtschaftlichen Lebensmittelproduktion angezeigt ist und warum Umwelt und Natur davon profitieren können.
Im Netz: Grüne Bilanzen (hr2.de)
- Laudator Jan-Eric Peters, Preisträger Conrad Lay, Kuratoriumsvorsitzender Stefan Quandt
"Aus der Nische ins Zentrum des Interesses"
"Das Ohr will sich ein Bild machen." So beschreibt Conrad Lay, seine Arbeitsweise. Ein wunderbarer Satz, für den allein er fast schon einen Preis verdient hätte.
Er bringt jedenfalls sehr plastisch auf den Punkt, was auch die Jury an Conrad Lays Beitrag beeindruckt hat: Es gelingt ihm, ein sehr wichtiges, aber doch auch ziemlich sprödes und komplexes Thema mit seiner Erzählweise, mit seinen O-Tönen und Geräuschen, mit vielen Beispielen und Gesprächspartnern zum Leben zu erwecken und so aufzubereiten, dass man auch 50 Minuten und 49 Sekunden lang gebannt zuhört und versteht, worum es beim "nachhaltigen Rechnen" geht, und weshalb es so wichtig ist.
Europa soll, das haben die 27 Mitgliedstaaten der EU beschlossen, der erste klimaneutrale Kontinent werden. Auch mit Hilfe eines nachhaltigen Finanzwesens. Aber wie soll dieser "Green Deal" in der Praxis überhaupt funktionieren?
Conrad Lay spannt den Bogen von den großen politischen Ansprüchen in Brüssel zur unternehmerischen Praxis auf dem Hofgut Breitwiesen bei Ühlingen-Birkendorf im äußersten Südwesten Deutschlands, einem Pionierbetrieb des "green accounting". Er macht – auch anhand anderer Beispiele – deutlich, wie sich Ökonomie und Ökologie versöhnen, wie sich Faktoren wie Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität und Tierwohl sinn- und wirkungsvoll in das traditionelle Rechnungswesen einbeziehen lassen. Denn bislang findet nachhaltiges Wirtschaften fast keine Berücksichtigung in Unternehmensbilanzen.
Nachhaltige Landwirtschaft ist sehr aufwändig, und nicht immer können die höheren Kosten dafür auf den Verkaufspreis umgelegt werden. Würde man aber die Leistungen des Öko-Landbaus wie Boden- und Gewässerschutz mit in die Bilanz einbeziehen und andererseits die in der konventionellen Landwirtschaft für die Allgemeinheit entstehenden Umweltschäden einrechnen, dann wären – das ist eine nachvollziehbare These des Beitrags – konventionelle Produkte für die Verbraucher längst teurer als Bio-Produkte.
"Als ich vor zwei Jahren begonnen habe, an dem Thema zu recherchieren", sagt Conrad Lay in unserem Film, "war ich mir nicht sicher, ob das nicht vielleicht so ein bisschen ein Außenseiterthema ist." Heute können wir mit Sicherheit sagen, dass das Thema aus der ökologischen Nische mitten ins Zentrum des Interesses gerückt ist. Nicht nur bei den großen Playern am Kapitalmarkt, sondern auch hier beim Herbert Quandt Medien-Preis.
Lieber Herr Lay, wir zeichnen den Beitrag "Grüne Bilanzen – Ein Feature über nachhaltiges Rechnen im Bio-Landbau" mit dem Herbert Quandt Medien-Preis 2022 aus. Übrigens der erste Hörfunkbeitrag sei 2011, der es hier ganz nach oben geschafft hat!