Medienpreis
Die Bewerbungsphase für den Herbert Quandt Medien-Preis 2025 ist eröffnet. Reichen Sie jetzt herausragende wirtschaftsjournalistische Beiträger aller Formate und Gattungen ein, die zwischen dem 16. Februar 2024 und dem 15. Februar 2025 (Einsendeschluss) erschienen sind.
Weniger Bürokratie, dafür bessere Bildung!
Meine Damen und Herren,
eine heitere Preisverleihung ist in unseren Zeiten eine Herausforderung. Wir haben in wenigen Jahren viele Umwälzungen und verschiedenste Krisen erlebt: Nach der Pandemie den brutalen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine, gefolgt von der Destabilisierung des Nahen Ostens durch den terroristischen Überfall der Hamas und den israelischen Gegenschlag. Es ist gefühlt einiges aus dem Lot.
Zudem beschleicht einen das Gefühl, dass diese Krisen nicht nur aufeinander folgen. Sie scheinen sich zu überlagern, zu verstärken und damit in negativer Weise auch auf unsere Wirtschaft und das politische System abzustrahlen. In dieser unübersichtlichen Situation steigt die Bereitschaft der Menschen, sich auf unterkomplexe und vereinfachende Erklärungen einzulassen. [mehr …]
Der Herbert Quandt Medien-Preis 2024 geht an:
- Martin Greive und das Rechercheteam Catiana Krapp, Moritz Koch, Mareike Müller, Julian Olk und Klaus Stratmann für ihre Reportage „Russendisco“, erschienen am 01.12.2023 im Handelsblatt,
- Astrid Spiegelberg für ihre Dokumentation „Unter Druck - Selbstständige in Deutschland“, ausgestrahlt am 29.08.2023 in der ARD,
- Dr. Florian Güßgen für seine beiden Reportagen „Glas in jeder Faser“ und „Der Ofen wandert aus“, veröffentlicht am 29.09.2023 und am 14.07.2023 in der WirtschaftsWoche,
- Marc Bädorf für seine Reportage „Wasser bis zum Hals“, erschienen am 01.03.2023 in Reportagen.
Rund 270 Einreichungen hat die Johanna-Quandt-Stiftung erhalten. Der Preis ist mit insgesamt 50.000 Euro dotiert.
Wir gratulieren allen Preisträgern ganz herzlich!
12.500 Euro Preisgeld für Martin Greive, Catiana Krapp, Moritz Koch, Mareike Müller, Julian Olk und Klaus Stratmann
- Michaela Kolster (Laudatio), Catiana Krapp, Moritz Koch, Stefan Quandt (Jury)
Martin Greive und das Rechercheteam Catiana Krapp, Moritz Koch, Mareike Müller, Julian Olk und Klaus Stratmann erhalten den Herbert Quandt Medien-Preis 2024 für ihre Reportage „Russendisco“, erschienen am 01.12.2023 im Handelsblatt.
„Russendisco“ gleicht einem Krimi: Im Frühjahr 2022 versucht Russland, Deutschland durch die Liquidation von Gazprom Germania von der Gasversorgung abzuschneiden. Etwa 500 Stadtwerke wären betroffen. Den Beamten im Wirtschaftsministerium bleibt nur wenig Zeit, die drohende Katastrophe abzuwenden.
Präzise, spannend und mit hohem Tempo zeichnet das Autorenkollektiv die Arbeit des Krisenstabs nach. Es gelingt ein seltener, atmosphärischer Blick in den Maschinenraum der Politik: Im abhörsicheren Speisezimmer des Ministeriums werden Szenarien entworfen, juristische Fragen diskutiert, Lösungsoptionen geprüft.
Die Reportage bleibt jedoch nicht bei den dramatischen Ereignissen stehen. Sie analysiert klar, wie Deutschland in diese Situation geraten konnte, und verweist auf vergleichbare Abhängigkeiten beim Ausbau der 5G-Infrastruktur.
„Russendisco“ ist Zeitgeschichte und Mahnung zugleich, ein Highlight wirtschaftspolitischer Berichterstattung.
- Michaela Kolster
Wir ahnten ja alle in den Zeiten kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, dass es ziemlich ernst werden könnte mit unserer Energieversorgung. Als Otto-Normal-Verbraucher hat man vielleicht gedacht – na, wird schon gut gehen. Unternehmer aber plagten vielerorts Existenzängste – zu Recht. Dass wir aber Anfang April 2022 so knapp einer Katastrophe entgangen waren, das wussten nur wenige – bis das Autorenteam des Handelsblattes der Sache nachging.
Die Autoren saßen in Berlin, Brüssel, Düsseldorf und Riga – allein das macht deutlich wie weitreichend die Geschichte war. Es brauchte viele Gespräche mit den Akteuren, um die Angelegenheit zu rekonstruieren. Am Ende wird der Ablauf der Geschehnisse von allen gemeinsam wie ein Puzzle zusammengesetzt.
Die Regierung unternahm viel in diesen Zeiten, um unsere Energieversorgung zu sichern. Den Gang nach Katar haben bestimmt noch viele vor Augen, ein schnell durchgewunkenes Gesetz zum Ausbau der erneuerbaren Energien, mehr Kohlekraftwerke, LNG-Terminals in Deutschland-Geschwindigkeit, KfW-Kredite, Sonderbürgschaftsprogramme, Entlastungspakete, Strompreisbremsen, Inflationsausgleichsprämien und so fort, kamen hinzu.
Die Bundesregierung hat sich mächtig ins Zeug gelegt, was sich aber nicht verschleiern ließ: Deutschland war Russland in Sachen Energie ausgeliefert. Schlimmer aber war, dass Russland inzwischen den größtmöglichen Schaden für Deutschland wollte. Wollte, dass die Menschen in Folge einer zusammengebrochenen Gasversorgung auf die Straße gingen.
Kein Wunder, dass es Zeit brauchte diese Geschehnisse ans Tageslicht zu befördern, denn wer gibt schon gerne zu, dass er so verletzlich, so gefährdet, so abhängig ist, und wer im Politikbetrieb ist schon bereit, den Blick hinter die Kulissen zuzulassen. Aber genau das ist den Autoren mit ihrem Beitrag gelungen. Stück für Stück setzten sie es zusammen.
Politisch ist das Thema hochbrisant und die Recherche ergibt: die Geschichte ging nur gut aus, weil zwei Whistleblower, die bis heute gefährdet sind, bereit waren, die Bundesregierung zu warnen. Unsere Energieversorgung hing am seidenen Faden.
Die Autoren zeichnen das Wochenende vor der Bekanntmachung durch Robert Habeck minutiös nach, und das macht ihren Artikel so spannend – 50 Stunden bleiben den Beamten von Ministerium und Kanzleramt, und sie brauchen erstmal eine ganze Weile, um das Ausmaß des Komplottes zu verstehen.
Das Ganze geschieht an einem Wochenende. Eine Fahrradtour wird abgesagt, eine Geburtstagsfeier muss warten. Wir werden mitgenommen zu Sitzungen im abhörsicheren Raum. Es werden Szenarien entworfen und verworfen – auch externe Berater wurden hinzugezogen – bei kniffligen juristischen Fachfragen: durchaus angebracht. Die Unsicherheit der Beteiligten ist zu spüren, allen ist klar, was auf dem Spiel steht – die Geschichte ist rasant und packend erzählt. Am Ende klingt die Lösung fast zu einfach.
Die Autoren aber bleiben nicht allein bei diesem Wochenende: Sie haben aufgezeigt, wie knapp Deutschland einer Katastrophe entgangen ist, doch wirklich gelernt hat man daraus nicht, so ihr Fazit.
Die USA, die NATO, die EU warnen Deutschland abermals vor zu großer Abhängigkeit – diesmal von China, denn die meisten 5G Komponenten, die Deutschland bezieht, kommen aus China. Eingesetzt werden sie in kritischer Infrastruktur – abermals – die Autoren vermissen jede Strategie, diesem zu begegnen, und uns bleibt zu hoffen, dass sie nicht wieder Grund haben, eine ähnliche Geschichte schreiben zu müssen.
Diese Recherche, diese sehr bemerkenswerte journalistische Leistung – da waren wir uns in der Jury sehr einig – ist uns den Herbert Quandt-Medien-Preis 2024 wert – dotiert mit 12.500 €.
Und ich bitte nun Sie, Herr Quandt und Catiana Krapp und Moritz Koch – stellvertretend für das Autorenteam auf die Bühne.
12.500 Euro Preisgeld für Astrid Spiegelberg
- Tanit Koch (Laudatio), Astrid Spiegelberg (Preisträgerin), Stefan Quandt (Jury)
Astrid Spiegelberg erhält den Herbert Quandt Medien-Preis 2024 für ihre am 29.08.2023 in der ARD ausgestrahlte Dokumentation „Unter Druck - Selbstständige in Deutschland“.
Der Mittelstand als Rückgrat der deutschen Wirtschaft kämpft mit Fachkräftemangel, hohen Energiekosten und aufwendiger Bürokratie. Selbstständige und Freiberufler ächzen zudem unter der Last hoher Versicherungsbeiträge. Kein Wunder, dass die Zahl der Menschen, die unternehmerisch tätig sein wollen, in Deutschland stark zurückgeht.
„Unter Druck“ lässt unterschiedliche Unternehmerpersönlichkeiten, vom Tischlermeister bis zur Influencerin, zu Wort kommen: Wie gehen sie mit den täglichen Herausforderungen um, mit starren Rahmenbedingungen, Existenzängsten und fehlender Anerkennung? Warum bleiben sie trotzdem überzeugt von ihrer Tätigkeit und arbeiten oftmals bis an ihre persönlichen Belastungsgrenzen?
Astrid Spiegelberg gelingen packende Nahaufnahmen, die Unternehmertum in all seinen Facetten sichtbar machen. Nüchtern und ohne Pathos zeigt sie, warum sich die Protagonistinnen und Protagonisten ihres Films trotz aller Widrigkeiten leidenschaftlich für ihre Geschäftsideen einsetzen.
- Tanit Koch
Frau Spiegelberg, ich muss Ihnen eines gestehen. Ich war hin- und hergerissen, ob ich wirklich irgendjemandem empfehlen kann, diese ARD-Story zu schauen. Denn je mehr Menschen es tun, desto größer das Risiko, dass sich überhaupt niemand mehr ins unternehmerische Abenteuer begibt.
Die Pandemie hat die Zahl der Selbstständigen in Deutschland ja schon dramatisch dezimiert, und jetzt kommt auch noch Ihre Doku …
Unwissenheit kann bekanntlich schützen – und wer weiß, dass Handwerksmeister in Deutschland offenbar tausendmal mehr Gefährdungsbeurteilungen schreiben müssen als der Verfassungsschutz, der hat ja ganz offenbar den Verstand verloren, wenn er oder sie sich das antut.
Kein Wunder also, dass die Abwanderung von Unternehmen, also die Abstimmung mit den Füßen, längst stattfindet. Das hier ist allerdings die Laudatio einer Preisverleihung, und Astrid Spiegelberg gebührt dieser Quandt-Preis für Wirtschaftsjournalismus, weil ihr etwas fast Magisches gelingt.
Der Funke, der in all ihren Protagonisten brennt, der springt über. Die Vielfalt dessen, was Freiberufler und Mittelständler in Deutschland leisten, ihre Schaffenskraft und ihre Zähigkeit werden ebenso sichtbar wie die absolute Liebe zu ihrer Arbeit.
Die Doku ist keine Jammer-Veranstaltung. Sie begnügt sich eben nicht mit den stark erzählten Fällen von Gängelung, Bevormundung, Arbeitslast, erdrückenden Sozialabgaben, Kontrollen, Fallstricken bis hin zur Strafbarkeit, Leiter-Verordnungen – in einer Dichte, dass man schon von einer vorsätzlichen Vernichtung von Wirtschaftskraft sprechen kann.
Doch gleichzeitig mangelt es nicht an konkreten Lösungsvorschlägen, um kleine Mittelständler von der Bürokratielast eines Großkonzerns zu befreien. Wenn, ja wenn sich unter den politisch Verantwortlichen doch bloß jemand dafür interessieren würde.
Sie haben es eben in dem Film gesehen – keine Antwort vom Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung ist auch eine Antwort. Keine Zeit beim Wirtschaftsminister ist auch ein Zeichen (und wir werden später im Lauf dieser Preisverleihung noch sehen, wo die Prioritäten im Minister-Kalender liegen).
Dieses Abblitzen-lassen schildert Astrid Spiegelberg ganz unaufgeregt – doch eigentlich ist es ein Skandal, denn es beweist genau das, was die Doku anprangert: Den mangelnden Stellenwert, die mangelnde Wertschätzung für die 4,2 Millionen Menschen in Deutschland, die selbständig tätig sind. Zum Vergleich: Im Öffentlichen Dienst sind allein 5,3 Millionen Menschen angestellt.
Wer sich also vor der Frage drückt, was tatsächlich für die Selbständigen in Deutschland getan wird, der muss sich die Unterstellung gefallen lassen: nichts. Zumindest nicht ansatzweise genug.
Die Menschen, die wir in dieser ARD-Story kennenlernen, die tragenden Säulen unserer Wirtschaft, die haben einfach Besseres verdient. Wie der Bremer Tischlermeister, Sie erinnern sich, der mit den 1133 Gefährdungsbeurteilungen für Kreissäge und Handkreissägen. In der Doku sagt er:
“Ich bin da ziemlich blauäugig rangegangen, ich habe nicht groß überlegt, sondern entschlossen, mich selbstständig zu machen, viel privates Geld in die Hand genommen, Maschinen gekauft und einfach losgelegt. Mit dem Wissen von heute würde ich das nie wieder machen. Aber trotzdem ist es gut, dass ich es gemacht habe.”
Und deshalb ist es gut, dass diese Doku gemacht wurde – mit ebenso viel Hingabe und Professionalität, von einer Selbstständigen für Millionen andere Selbstständige. Und deshalb müssen auch Sie sich natürlich diese packenden 44 Minuten anschauen. In der Mediathek. Spätestens nach der EM.
Aber erstmal feiern wir jetzt Astrid Spiegelberg!
12.500 Euro Preisgeld für Dr. Florian Güßgen
- Jan-Eric Peters (Laudatio), Dr. Florian Güßgen, Stefan Quandt (Jury)
Dr. Florian Güßgen wird für seine beiden Reportagen „Glas in jeder Faser“ und „Der Ofen wandert aus“, veröffentlicht am 29.09.2023 und am 14.07.2023 in der WirtschaftsWoche, mit dem Herbert Quandt Medien-Preis 2024 geehrt.
Glasmacher aus Thüringen und Bayern schlagen zu Beginn der Energiekrise Alarm. Ihr Geschäftsmodell ist massiv bedroht, aber sie entwickeln eigene Lösungen vor Ort, um auch weiterhin am Markt bestehen zu können. Im Gegensatz dazu entschließt sich eine Firma aus dem Schwarzwald, ihre innovative, klimaneutrale Produktion von hochwertiger Badkeramik zuerst in Kanada anzusiedeln – wegen der dort aus ihrer Sicht besseren Bedingungen.
Mit lebendiger Sprache beschreibt Dr. Florian Güßgen in zwei spannenden Reportagen die grundsätzlichen Alternativen, vor denen Unternehmen in Zeiten hoher Energiekosten stehen: mit ihren innovativen Projekten auswandern oder in Deutschland nach effizienteren Produktionsverfahren und Lösungen für die standortbedingten Herausforderungen suchen. Empathisch, aber ohne die Distanz zu verlieren, berichtet Güßgen von den Nöten der Unternehmen und ihren unterschiedlichen Wegen, Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und auch Beschäftigung zu sichern.
- Jan-Eric Peters
Viel Raum für eine Laudatio haben die Filmemacher nicht gelassen mit ihrem eindrücklichen Beitrag. Sie verstehen sicher schon jetzt sehr gut, weshalb wir Florian Güßgen heute mit dem Herbert-Quandt-Medienpreis auszeichnen.
Lassen Sie es mich mit einem Zitat von Rudyard Kipling versuchen, dem Autor des Dschungelbuchs und jüngsten Literatur Nobelpreisträgers aller Zeiten. Es lautet so:
“All things considered, there are only two kinds of men in the world: those that stay at home and those that do not.”
Das Zitat kann man, dem Anlass heute und meiner beruflichen Erfahrung entsprechend, sehr gut auf uns Journalisten anwenden. Alles in allem gibt es nämlich auch nur zwei Arten von Journalisten: die, die zu Hause bleiben, und die, die das nicht tun. Im wörtlichen und vor allem im übertragenen Sinne.
Florian Güßgen ist ein Journalist, der nicht zu Hause und nicht auf ausgetretenen Pfaden bleibt. Er ist neugierig, geht raus, fährt los und sucht und findet dort draußen Geschichten. So loben ihn seine Kollegen. Er ist einer mit den klassischen Reportertugenden, der nah dran sein und hören, sehen und spüren möchte, worüber er schreibt.
Was man als Leser seinen Texten dann auch anmerkt. Da ist richtig viel Leben drin! Man wird mitgerissen und hat das Gefühl, dabei zu sein. Sie haben die Freude des Autors an der Recherche und dem persönlichen Kontakt zu den Protagonisten seiner Geschichten ja eben im Film selbst sehen können.
In den beiden Reportagen, für die wir Florian Güßgen auszeichnen, geht es wie in Kiplings Zitat letztlich auch um die Frage "Rausgehen oder nicht?".
Dort aber ist das keine Charakterfrage oder eine persönliche, berufliche Vorliebe, sondern eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens von Unternehmen in Zeiten des Green Deals und hoher Energiekosten. Rausgehen aus Deutschland oder nicht?
In seinen Texten wirft Güßgen ein Schlaglicht auf die vielzitierte Deindustrialisierung unseres Landes. Er zeigt die Alternativen, vor denen viele – vor allem mittelständische – Unternehmen heute stehen: In Deutschland irgendwie tragfähige Lösungen für die standortbedingten Herausforderungen finden oder, wenn das überhaupt machbar ist, mit der Produktion in Länder mit besseren Bedingungen gehen.
Güßgen hatte früh in Erfahrung gebracht, dass Duravit mit dem Gedanken spielt, sein Zukunftsprojekt des weltweit ersten klimaneutralen – und im übrigen riesigen, nämlich 110 Meter langen – Elektro-Ofens für Sanitär-Keramik in einem kleinen Ort am Ufer des Sankt-Lorenz-Stroms in Kanada zu errichten.
Statt die exklusive Nachricht gleich "rauszuhauen", wie Journalisten sagen, begleitete er das Projekt über Monate. Seine Chronologie des Falls Duravit zeigt sehr anschaulich, wie das Vertrauen in den Standort Deutschland schwindet und wie geschickt andere Länder um dieses Vertrauen buhlen.
Güßgen führte unzählige Gespräche, um zu verstehen, warum Duravit sein innovatives, grünes Werk eben nicht in Deutschland baut, sondern in Kanada. Das liegt natürlich vor allem am Geld, weil der grüne Strom in Kanada 3 Cent pro Kilowattstunde kostet und nicht 15 oder 20. Aber es hat auch mit weichen Faktoren zu tun, zum Beispiel mit dem kanadischen Minister für Innovation und Industrie, der den schönen Namen Champagne trägt, und mit dem Güßgen auch gesprochen hat.
Der muntere Champagne, den man nach Lektüre der Geschichte am liebsten selbst einmal treffen wollte, hat seine Nahbarkeit international zum Markenzeichen gemacht und so schon viele, auch deutsche Unternehmen nach Kanada gelockt. Während auf der anderen Seite Duravit über unsere Bundesregierung sagt, man könne nicht erkennen, dass sie ernsthaft versuche, die Deindustrialisierung aufzuhalten.
In der zweiten Geschichte über die Glasmacher vom Rennsteig beschreibt Güßgen die Alternative zum Auswandern: den Versuch, es trotz der existenzbedrohenden Krise in der Heimat zu schaffen, hier mit Hilfe der Landespolitik.
Diese Reportage ist das, was Journalisten eine "Nachdrehe" nennen. Zu Beginn der Energiekrise hatten die Glasmacher auf Youtube öffentlich Alarm geschlagen. "Die Strompreise! Helft uns! Sonst gehen wir unter!" Die Aufmerksamkeit war groß. Aber Güßgen interessierte, wie es in der Zeit danach weitergegangen ist.
Ein Jahr nach dem Video besuchte er die Region und sprach mit den Unternehmern, die im Video aufgetreten waren, und mit vielen mehr über das, was nach dem Hilferuf geschah. Und welche Lehren sich daraus fürs Land ziehen lassen. Die Politik hat den Rennsteig inzwischen zu einer "Modellregion" erkoren und man gewinnt zumindest ein wenig Hoffnung, dass die industrielle Transformation in Deutschland doch gelingen kann.
Zwei Geschichten also – und ein einhelliges Urteil der Jury: Lebendig und empathisch, aber ohne die Distanz zu verlieren, beschreibt Florian Güßgen in seinen Reportagen exemplarisch die Nöte deutscher Unternehmen und ihre unterschiedlichen Wege, Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und auch Beschäftigung zu sichern.
Der Jury ist das einen Herbert-Quandt-Medienpreis 2024 wert.
Herzlichen Glückwunsch, Dr. Güßgen!
12.500 Euro Preisgeld für Marc Bädorf
- Horst von Buttlar (Laudatio), Marc Bädorf, Stefan Quandt (Jury)
Marc Bädorf erhält den Quandt Medien-Preis 2024 für seine Reportage „Wasser bis zum Hals“, erschienen am 01.03.2023 in Reportagen.
Im Sommer 2021 werden das Ahrtal und die umliegenden Gebiete von einer Jahrhundertflut heimgesucht. Die Hilfsbereitschaft ist groß. Doch der Weg zum Neuanfang ist weit – für Bewohner wie für Unternehmen. Was ist aus der anfänglichen Solidarität und den Versprechungen der Politiker geworden?
Für seine Reportage „Wasser bis zum Hals“ hat Autor Marc Bädorf den Besitzer eines Restaurants in Bad Münstereifel eineinhalb Jahre beim Wiederaufbau begleitet. Seinem Protagonisten folgend entfaltet er ein Panorama individueller Schicksale und Ereignisse. Eindringlich ruft Bädorf die Bilder und Geschehnisse der Katastrophe ins Gedächtnis und spiegelt sie in den zwischen Mut und Hoffnungslosigkeit schwankenden Gemütslagen des Gastronomen.
In tagebuchähnlichen Sequenzen zeichnet der Autor den persönlichen und unternehmerischen Überlebenskampf eines Mannes nach, dessen Unternehmertum auch in scheinbar aussichtslosen Situationen die Oberhand behält. Stilistisch von nahezu literarischer Qualität erzählt Bädorf eine hoffnungsvolle Parabel über die Widerstandskraft gelebten Unternehmertums.
- Horst von Buttlar
Unternehmertum lässt sich, so komplex es uns erscheinen mag, auf einfache und klare Zutaten und Bestandteile runterbrechen: die Personen, die Idee, das Produkt – und die Entscheidung. Die Entscheidung ist eine der Kernhandlungen: expandieren, investieren, aufbauen, ausbauen, öffnen, schließen, weitermachen oder aufhören. Ja oder nein.
Der Text von Marc Bädorf dreht sich um eine solche Kernfrage – die Frage, ob ein Unternehmer nach einer Katastrophe wieder von vorne anfängt oder nicht. Nur darum geht es, nicht um Lieferketten, Geopolitik, Decoupling, Künstliche Intelligenz. Marc Bädorf durchleuchtet die Keimzelle des Unternehmertums.
Er macht das, rein formal gesehen, indem er selbst die Regeln bricht: Sein Text ist streng genommen keine Reportage; sie beginnt im strengen Imperfekt mit einer ellenlangen Rückblende. Sie zieht keine Studien oder Experten zu Rate, macht keinen Weltuntergangsexkurs zum Klimawandel oder singt Klagelieder zur Bürokratie.
Der Text schwingt sich nicht zu jenem Überbau auf, was im Jargon der Journalisten „Portal“ genannt wird – der Spiegel nennt es ehrlicherweise „Aufblase“; jener Part in Texten, der spätestens nach drei Absätzen und 30 Zeilen kommen sollte, der dem Text die Bedeutung verleiht – der deutlich macht, worum es hier eigentlich geht. Man weiß in diesem Text sofort, worum es geht.
Bädorf erzählt einfach drauf los, unbeirrt und ungerührt; er macht das, was sehr gute Texte ausmacht: Er erzählt eine Geschichte, der man folgen möchte. Eine im besten Sinne normale Geschichte, bodenständig, aus dem Leben – es geht nicht um den großen Wurf oder Durchbrüche, sondern um ein Restaurant.
In unserer gnadenlosen Welt der Klicks, auf einer Website, in einer App, hätte Bädorf wenig Chancen – zu ausführlich, zu langsam. Er würde Gefahr laufen, weggewischt und weggeklickt zu werden. (Zumal fast die Hälfte der Menschen, wie kürzlich eine Umfrage ergeben hat, nur noch Überschriften liest).
Welche Verschwendung! Wenn es noch „Long Reads“ geben soll, dann bitte solche Texte, die so plastisch, nah, anschaulich und aus dem Leben erzählen. Ohne sich ständig selbst zu vergewissern, dass sie eine Berechtigung haben. Die Reportage von Marc Bädorf ist ein Statement, ein selbstbewusstes Zeichen über die Kraft des Erzählens. Schon der erste Satz setzt den Ton:
„Es war ein Morgen, wie es sie viele im Leben von Michael Griese gegeben hatte.“
Um sofort, aber langsam, das Drama anzukündigen.
„Griese, der 61 Jahre alt war, stand an diesem Mittwoch um 6 Uhr 30 auf, er ging einkaufen, es regnete, er kehrte zurück, es regnete, Griese begann mit den Vorbereitungen, es regnete. Griese dachte sich nichts dabei."
Frau Klatten, von dem Interview, das sich vor Kurzem mit Ihnen führen durfte, sind mir viele Sätze in Erinnerung geblieben; zwei Sätze aber wirken wie ein Leitmotiv oder Rahmen und die Geschichte von Marc Bädorf. Ich zitiere:
„Als Unternehmer ist man bei vielen Entscheidungen allein. Aber sie haben auch etwas Schönes: Entscheidungen sind immer ein Startpunkt.“
„Beim Abschiednehmen muss man vor allem auf Fakten schauen. Das Bauchgefühl ist bei neuen Dingen wichtig“.
Das ist oft leichter gesagt als getan. Und genau darum geht es beim Wasser, das einem Unternehmer bis zum Hals steht – um Fakten und Emotionen, um Szenarien und Kalkulationen. Weitermachen oder Aufhören.
Marc Bädorf fängt dieses Dilemma, die inneren und äußeren Konflikte in einem dichten, wunderbaren Kaleidoskop ein – seine Reportage ist gleichzeitig ein Appell, an Themen (und Texten) dranzubleiben und sie zu durchdringen.
Diese journalistische Leistung zeichnen wir mit Freude mit dem Herbert Quandt Medien-Preis und 12.500 Euro Preisgeld aus. Herzlichen Glückwunsch an Marc Bädorf.
Der Herbert Quandt Medien-Preis würdigt seit 1986 jährlich Journalisten und Publizisten aller Medien, die sich in anspruchsvoller und allgemeinverständlicher Weise mit dem Wirken und der Bedeutung von Unternehmern und Unternehmen in der Marktwirtschaft auseinandersetzten. Der Medien-Preis wird im Gedenken an die Persönlichkeit und das Lebenswerk des Unternehmers Dr. h.c. Herbert Quandt verliehen und mit insgesamt 50.000 Euro dotiert.
Dr. h.c. Herbert Quandt (1910-1982)
Herbert Quandt wurde am 22. Juni 1910 als zweiter Sohn des Unternehmers und Industriellen Günther Quandt (1881-1954) und seiner Frau Antonie (geb. Ewald; 1884-1918) in der brandenburgischen Stadt Pritzwalk geboren.
Nach dem frühen Tod der Mutter zog Herbert mit seinem Vater Günther und dem älteren Bruder Hellmut nach Berlin, wo er infolge einer schweren und nicht heilbaren Augenerkrankung Privatunterricht und Ausbildung durch Hauslehrer erhielt. Sein Vater plante daher, ihm eine berufliche Zukunft in der Verwaltung des familieneigenen landwirtschaftlichen Gutes in Mecklenburg zu eröffnen. Nachdem sein älterer Bruder Hellmut jedoch 1927 im Alter von nur 19 Jahren den Komplikationen einer Blinddarmentzündung erlag, wurde Herbert Quandt von Günther Quandt auf eine industrielle Verantwortung und Nachfolge in der Unternehmensgruppe vorbereitet.
Mit Beginn der dreißiger Jahre sammelte Herbert Quandt im Rahmen von Praktika und zahlreichen Auslandsaufenthalten Erfahrungen sowie technische und kaufmännische Kenntnisse, vor allem in der Entwicklung und Produktion von Akkumulatoren. Ende der dreißiger Jahre wurden ihm zunehmend Führungsaufgaben in der Quandt-Gruppe, insbesondere bei dem Batteriehersteller Pertrix, übertragen. Zwar stand Herbert Quandt während der Zeit des Nationalsozialismus immer noch im Schatten seines Vaters. Er trug aber als Direktor der Batteriefabriken Pertrix und AFA Oberschöneweide Verantwortung für den Personalbereich, der sich auch mit dem Einsatz und den Arbeitsbedingungen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern befasste.
Die Bedingungen der Zwangsarbeit, aber auch das politische Verhalten seines Vaters Günther Quandt in der NS-Zeit, wurden im Oktober 2007 in der TV-Dokumentation „Das Schweigen der Quandts“ thematisiert. Die Ausstrahlung dieser Dokumentation sowie deren Echo in der Öffentlichkeit gaben den Anstoß für eine umfassende Aufklärung und Gesamtdarstellung der Familiengeschichte.
Im Dezember 2007 bat die Familie Quandt, deren seinerzeit größte Beteiligungen BMW und ALTANA sich als Gründungsmitglieder in der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft schon im Jahr 2000 für einen materiellen Ausgleich für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt hatten, den Zeithistoriker Prof. Joachim Scholtyseck (Universität Bonn) um eine wissenschaftliche Gesamtdarstellung der Familiengeschichte. Das dreijährige, tiefgreifende Forschungsprojekt reichte von den unternehmerischen Anfängen in der Kaiserzeit des 19. Jahrhunderts über die beiden Weltkriege bis zum Tode Günther Quandts im Jahr 1954 und wurde 2011 unter dem Titel „Der Aufstieg der Quandts“ veröffentlicht.[1]
Scholtyseck verdeutlicht darin, dass Herbert Quandt durch seine Führungsaufgaben in der Quandt-Gruppe über Art, Umfang und Bedingungen der Zwangsarbeit sowie auch über sog. „Arisierungen“ von Unternehmen informiert gewesen sein muss.[2] Die Mitgliedschaft in der NSDAP und anderen NS-Organisationen erleichterten es ihm zudem, während des Krieges in Deutschland als Unternehmer tätig zu bleiben.
Scholtyseck erwähnt in seiner Studie aber auch, dass Herbert Quandt „Mitarbeiter in seinen Wirkungskreis berief, die zuvor schon mit dem Regime in politische Konflikte geraten waren“.[3] Da es „weder (…) zeitgenössische Hinweise auf eine grundlegende Distanz zum Regime, noch (…) Indizien für eine besondere Nähe“ gebe, kommt der Historiker zu der Beurteilung, dass „Herbert Quandt zu den vielen Mitläufern gehört habe“.[4]
Das Schweigen über die NS-Zeit und ihr großes Unrecht wurde nach dem Krieg von Herbert Quandt nicht durchbrochen. Scholtyseck verweist auf den Versuch einer Erklärung durch den Philosophen Herrmann Lübbe: Dieser habe im kollektiven „kommunikativen Beschweigen“ eine Voraussetzung dafür gesehen, dass sehr viele, die dem NS-Regime gedient oder sich zumindest mit ihm arrangiert hatten, nach dem Krieg wieder auf einen Weg des Rechts und der Moral zurückfanden und sich engagiert und mit unternehmerischer Zuversicht in den neuen demokratischen Staat einbrachten.[5]
So war auch das Wirken Herbert Quandts in der jungen Bundesrepublik, in der er selbstbestimmt seinen eigenen Überzeugungen folgen konnte, gekennzeichnet von seinem engagierten Bekenntnis zur neuen sozialen Marktwirtschaft und verantwortungsvollem Unternehmertum. Nach seiner Auffassung sollte der Unternehmer in der Gesellschaft als Mensch wahrgenommen werden, dessen Tun und Handeln über den ökonomischen Nutzen hinaus einen wichtigen sozialen Beitrag leistet. Dabei fand neben der Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Unternehmenserfolg auch die Ausbildung junger Menschen das besondere Augenmerk Herbert Quandts: Für seine Verdienste um die Reformierung des betrieblichen Ausbildungswesens erhielt er im November 1956 die Ehrendoktorwürde der Universität Mainz.
Auch durch eine besondere unternehmerische Leistung reifte Herbert Quandt zu einer der prägenden und visionären Persönlichkeiten der bundesdeutschen Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte: So bewies er Wagemut und Weitblick, als er 1960 die Aktienmehrheit an der Bayerischen Motorenwerke AG übernahm und das Unternehmen damit vor der Übernahme durch die Daimler-Benz AG bewahrte. Mit seinem großen persönlichen Einsatz, der mit dem enormen Risiko des finanziellen Totalverlusts verbunden war, sicherte Herbert Quandt die Unabhängigkeit von BMW und führte das Unternehmen damit in den folgenden Jahrzehnten zurück auf die Erfolgsspur.
Herbert Quandt vertrat zugleich die Überzeugung, dass Wirtschaft den Menschen als Lebens- und Chancenraum erklärt und nahegebracht werden muss. Neben ihrer Bedeutung als kritische Vermittler und unabhängige Beobachter sah Herbert Quandt hierin die wichtigste Aufgabe der Medien.
[1] Vgl. Joachim Scholtyseck, Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche Unternehmerdynastie, München 2011
[2] Vgl. ebd., S. 765 f.
[3] Vgl. ebd., S. 767
[4] Vgl. ebd., S. 767
[5] Vgl. ebd., S. 768
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