Medien-Preis 2017
Was heißt "verantwortungsvoller Umgang mit Technik"?
Sehr geehrte Damen und Herren,
drei der vier Beiträge, die wir heute auszeichnen, beschäftigen sich mit den Konsequenzen der Digitalisierung und Vernetzung: Ein Beitrag beschreibt die Möglichkeiten und Chancen, die sich aus der Digitalisierung in einer so genannten „alten Industrie“ ergeben.
Ein zweiter Beitrag geht der Frage auf den Grund, wie sich in einer anderen Industrie die gesamte Wertschöpfungskette verändert, und welche neuen Geschäftsmodelle dadurch entstehen – oder nahezu verschwinden.
Der dritte Beitrag zur Digitalisierung widmet sich ausschließlich einer negativen Seite: Der Dimension kriminellen Handelns, wenn dieses sich die globale Vernetzung zunutze macht. Mehr ...
Auszeichnungen für BR Puls, NDR Panorama, Welt am Sonntag und Der Spiegel
Aus 248 Einreichungen hat das Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung 2017 vier herausragende wirtschaftsjournalistische Beiträge ausgewählt. Die insgesamt 50.000 Euro Preisgeld gehen an Journalisten der Redaktionen BR PULS, NDR Panorama - die Reporter, Welt am Sonntag und Der Spiegel.
„Die Preisträger zeichnen sich durch gründliche Recherche, innovative Erzählformen und eine weitsichtige Themenwahl aus“, begründet der Kuratoriumsvorsitzende der Johanna-Quandt-Stiftung, Stefan Quandt, die Juryentscheidung. „Mit originellen Zugängen und journalistischem Feingespür vermitteln sie anschaulich und nachvollziehbar komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge.“
- Michaela Kolster (Laudatio), Michael Bartlewski, Katrin Focke, Frank Seibert, Robert Stöger, Stefan Quandt
Michael Bartlewski, Katrin Focke, Frank Seibert und Robert Stöger erhalten einen mit 20.000 Euro dotierten Herbert Quandt Medien-Preis für ihren crossmedialen Beitrag „Was ist uns Musik noch wert?“, produziert von BR PULS, ausgestrahlt am 29. Februar 2016 in der ARD. Das Kuratorium würdigt damit die sehr gute Recherche und das originelle und ansprechende Hinterfragen wirtschaftlicher Zusammenhänge von Musikindustrie, Streamingdiensten, Labels und Interpreten. Die Preisträger beschränken sich nicht auf konventionelle Medien wie Fernsehen oder Hörfunk, sondern setzen auch crossmediale Formate, wie den BR Blog „Puls“, „Youtube“ und „Facebook“ ein.
Zum Beitrag „Was ist uns Musik noch wert?“
- Laudatorin Michaela Kolster
Den Zuschauer mitnehmen
Michael Bartlewski beginnt mit dem, womit Journalismus immer beginnt: mit einer Frage. Eine Frage, die anderen gestellt wird und aus der sich immer mehr neue Fragen ergeben – journalistischer geht es nicht. Keine vorgefasste Antwort verstellt hier den Blick auf den Gegenstand.
Bartlewski und sein Team wollen der allseits beklagten Oberflächlichkeit im Netz etwas entgegensetzen, „das tiefer geht“. Einen ganzen Monat Zeit hat er für seine Frage, für Recherche, Dreh, Schnitt und Fertigstellung. Hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.
Der prämierte Beitrag „Was ist uns Musik noch wert“ steht idealtypisch für das Format, das den Erkenntnisprozess des Reporters abbildet. Der Zuschauer wird Teil des Prozesses und mehr noch: über die sozialen Netzwerke wird er sogar Teil des Teams, kann sich einbringen und den Fortgang der Arbeiten beeinflussen.
Michael Bartlewski gelingt über eine einfache Fragestellung eine anspruchsvolle soziologische Betrachtung ohne das Vokabular oder die Attitüden des wissenschaftlichen Apparates oder des klassischen Feuilletons. Seine Bildsprache ist die der klassischen Reportage, fast immer ist Michael Bartlewski im Bild, dadurch hat der Zuschauer das Gefühl, ganz nah dabei zu sein. Er wird förmlich an die Hand genommen und durch das Gestrüpp der Musikszene und seiner Player begleitet, entziehen kann er sich nicht.
Hartnäckig bleibt Bartlewski dran an seiner Frage, fächert sie immer weiter auf, hält uns den Spiegel vor, macht uns Dinge bewusst, die wir allzu gern verdrängen, über die wir nicht nachdenken wollen. Über die eine fast banale Frage wird eine aufschlussreiche Gesellschaftsanalyse über uns, unser Konsumverhalten und den Wert von Kultur in unserer Gesellschaft aufgezeigt.
Die Jury war schnell überzeugt von diesem Format und wir gratulieren sehr herzlich Michael Bartlewski und seinem Team!
- Michael Bartlewski, Katrin Focke, Frank Seibert, Robert Stöger
Schönen guten Abend, wir sind sehr froh, heute hier zu sein, vielen, vielen Dank für die Auszeichnung!
Ja, das ist etwas Neues für uns hier, vor allem so dieses Wirtschaftspreismilieu ...
Es war uns erst einmal gar nicht so bewusst, dass wir einen Wirtschaftsfilm gemacht haben, unser Redakteur Florian Meyer-Hawranek hat uns angerufen und gesagt: Wir haben einen Wirtschaftspreis gewonnen. Dann haben wir, glaube ich, erst einmal alle nachgedacht: Aha, einen Wirtschaftspreis? Aber klar, es kommen natürlich sehr viele Zahlen in unserem Film vor und letztlich geht es um Geldverdienen und um Geldausgeben und die Frage „Kann man davon leben, was man macht?“.
Genau. Vielleicht kommen die richtigen Zahlen vor, es war nämlich, wie es so ein bisschen anklang, auch nicht so einfach, diese Zahlen überhaupt herauszufinden, also wirklich eine Band zu finden, die sich uns öffnet, die wirklich mal knallhart die Abrechnung auf den Tisch legt: Also, wie viel bekommst du von welchem Streaming-Anbieter, wie viel ist es bei YouTube, wie viel ist es bei Spotify (ich weiß nicht, wie viele Anfragen wir geschickt haben), und alle fanden das Thema immer super – Ja, ihr müsst da unbedingt was machen, das ist total wichtig! – aber, dass wir es dann mit ihnen machen, war immer dann keine Option mehr, weil die Künstler nicht jammern wollen; sie wollen lieber dieses mystische Image behalten: Hey, ich bin euer Star auf der Bühne, aber ich rede doch nicht über Geld.
Und das war so eine große Schwierigkeit - wobei ich jetzt, wenn ich den Film von den NDR-Kollegen jetzt gesehen habe, dann denk ich mir, okay, vielleicht war es doch nicht so eine schwere Recherche.
Man merkt auch, es steht wahnsinnig viel Idealismus hinter der Musik. Die Band sagt selbst, dass es ihnen eigentlich am Ende auch egal ist, ob sie vielleicht nur ein paar hundert Euro dafür bekommen. Wenn man sich mit Musik auseinandersetzt, kennt man natürlich immer diese glitzernde Welt – dass der Großteil der Musiker einfach gar nicht von seiner Musik leben kann, ist glaube ich eine Sache, die man gerne verdrängt, vergisst oder in Zeiten von Spotify einfach auch mal so beiseite lässt.
Und es ist nicht zuletzt auch wahrscheinlich eine Frage, inwieweit wir generell alle im Netz bereit sind, überhaupt Geld zu bezahlen. Also, die Musikbranche hat es ja schon sehr früh getroffen, dass Musik immer verfügbar war, dass man dafür nicht bezahlen musste, aber es geht ja ganz vielen Branchen jetzt so, nicht zuletzt auch den Journalisten. Also, wieso soll ich für einen Artikel bezahlen, wenn ich ihn, oder eine ähnliche Meldung in einem anderen Medium vielleicht viel schneller und kostengünstiger bekomme? Die Musikbranche hat sehr „schnell“, nein, natürlich hat sie ewig gebraucht! – aber in den letzten drei Jahren gemerkt, dass sehr viele exklusive Modelle passieren und sehr viele Ideen im Raum sind, wie du wirklich dein Business aufbauen kannst in einer Welt, in der eigentlich alles immer verfügbar ist.
Und das war auch so ein Ziel von unserem Film, die Leute hinter der Musik zu zeigen ...
Oft ist die Arbeit hinten solch einem Projekt sehr kompliziert und schwierig, auch wenn es auf den ersten Blick so leicht und plakativ wirkt – was natürlich unser Ziel ist. Das es am Ende so leicht aussieht und verständlich ist, ist schwer erarbeitet.
Das Projekt hat auf jeden Fall auch ganz viel in unserem Kopf verändert, glaube ich. Wir sind alle wahnsinnig musikaffin und haben uns immer viel mit Musik beschäftigt in unserem Leben, aber ich glaube, wir gehen jetzt auf noch mehr Konzerte.
Ja, genau. Vielen, vielen Dank vor allem an Florian Meyer-Hawranek, auch unseren Redakteuren, die uns immer unterstützen und vielen Dank an den Bayerischen Rundfunk, der mich jetzt seit vier, fünf Jahren jeden Monat eine Frage beantworten lässt.
Gerade komme ich von einem Esoterik-Festival und vielleicht kann aber der ein oder andere hier im Raum mir helfen – die nächste Frage wird sein: Wie ist es, reich zu sein?
Vielen Dank natürlich auch an die Johanna-Quandt-Stiftung – das ist jetzt vielleicht untergegangen. Danke schön.
Und noch einen kleinen Nachtrag: Auf den Konzerten von heutzutage verlassen die Künstler nicht die Bühne, bevor sie nicht ein Selfie geschossen haben. Das würden wir jetzt an dieser Stelle gerne machen – und zwar mit Ihnen im Hintergrund.
- Michaela Kolster (Laudatio), Pia Lenz, Kristopher Sell, Stefan Quandt
Pia Lenz und Kristopher Sell werden für ihre Fernseh-Reportage „Herr Abass und das geklaute Land“, ausgestrahlt am 7. Juni 2016 im NDR-Magazin Panorama, mit einem Preisgeld in Höhe von 15.000 Euro geehrt.
Durch eine unkonventionelle Herangehensweise offenbaren sie die Absurdität eines Entwicklungsprojektes in Sierra Leone, das in Deutschland nicht hätte umgesetzt werden können, in Afrika jedoch mit deutschen Fördergeldern subventioniert wurde.
Der Film zeigt auf, wie leicht Abhängigkeit und Korruption in dem afrikanischen Land zum Verlust von Eigentum und zu wirtschaftlicher Abhängigkeit führen. Der Film hinterfragt offen und direkt die Verantwortlichkeiten beim Scheitern von Entwicklungshilfeprojekten.
Zum Beitrag „Herr Abass und das geklaute Land“
- Laudatorin Michaela Kolster
Perspektivwechsel
Es gibt Geschichten, die sind erzählenswert, aber interessieren keinen so wirklich. Ein Skandal in Afrika ist dem deutschen Zuschauer nicht besonders nahe – es gibt wahrscheinlich so viele davon, dass das Erregungspotential begrenzt ist.
Man muss sich also Mühe geben und manchmal braucht es einen Trick, wenn man das Gefühl hat, eine Geschichte ist eine Geschichte. Der Trick von Pia Lenz und Kristopher Sell ist eigentlich einfach: sie übersetzen ihre afrikanische Geschichte ins Deutsche und plötzlich erscheint sie völlig absurd. Man ist sofort angesprochen und regt sich innerlich richtig auf, man denkt nur noch: Kann ja wohl nicht sein! Damit ist die Eintrittskarte zu einen Film, der sich zu einem riesigen Skandal entpuppt, gelöst.
Mit den Mitteln der klassischen Reportage werden wir Zeugen einer Geschichte, die im Ergebnis einerseits Menschen beraubt und andererseits Menschen bereichert. Etwas Alltägliches möchte man sagen, aber es ist zu spät – man kann sich dem Ganzen nicht mehr entziehen. Ja, man schämt sich für das, was man da sieht.
Wie konzentrische Kreise im Wasser breitet sich die Geschichte aus und Herrn Abbass trägt es bis in den Deutschen Bundestag – erreichen kann er nichts. Man kann den Autoren nur dankbar sein, dass sie ihre Geschichte so hartnäckig verfolgt haben. Sie zeigen mit ihrem Beispiel die Schattenseiten der Globalisierung, den unersättlichen Hunger der reichen Länder, die noch reicher werden wollen.
Die sogenannte Entwicklungspolitik gehört auf den Prüfstand gestellt, möchte man nach dem Film rufen.
Die Jury war sich schnell einig, dass dieser Film prämiert werden sollte, und so gratulieren wir Pia Lenz und Kristopher Sell zu ihrer beeindruckenden Reportage.
- Pia Lenz, Kristopher Sell
Pia Lenz:
Erst mal vielen Dank vorweg an Tina Soliman für die wunderbaren Filme – ich muss gestehen, ich hätte gerne noch mehr Kristopher (ich kenne ihn nur aus dem Büro) zuhause erlebt, weil ich finde, dass das bei Preisverleihungen immer ein bisschen kurz kommt – wir reden immer über unsere großen Filme, aber es ist schön, so etwas auch mal hier zu sehen.
Sie müssen entschuldigen, dass ich keine perfekte Rede vorbereitet habe, weil ich bis heute Morgen noch dachte, ich wäre wegen einer Grippe nicht fähig, hier anzureisen, trotzdem möchte ich auch ein paar Worte sagen. Erst mal vielen Dank an Familie Quandt und an die Jury ...
Ja, für uns war diese Geschichte wirklich eine ganz Besondere, vieles wurde jetzt schon im Film gesagt, aber wir haben da wirklich anderthalb Jahre recherchiert, immer wieder, und sie auch immer wieder beiseitegelegt, weil es genau so war, dass wir nicht wussten: Können wir diese Geschichte wirklich so erzählen, dass sie unsere Zuschauer erreicht? Und vor allem auch unsere Redaktion, Dietmar Schiffermüller und Lutz Ackermann, die mit uns auch sehr eng an diesem Film gearbeitet haben, haben da direkt die Hürde sehr hoch gehalten für uns und haben gesagt: Ihr könnt den Film nur machen, so toll die Recherche auch ist, wenn euch, wenn uns eine Idee einfällt, wie wir sie erzählen können.
Und als wir aus Sierra Leone zurückkamen und dort Abass kennengelernt hatten, kam Didi, unserem Redaktionsleiter, die Idee mit Oerzen und dass wir das eigentlich umdrehen müssen, also nicht mit Oerzen, sondern dass wir irgendwie den Spieß umdrehen müssen.
Und, ja, es war dann letztlich Abass, der das möglich gemacht hat, und viel Orga, die Abass letztlich nach Deutschland geholt hat, was auch gar nicht so einfach war. Und dann zu sehen, welchen Spaß Abass daran hatte, in diese Rolle des Investors zu schlüpfen. Daran sah man auch so ein bisschen, wie oft er schon mit solchen Menschen in seinem Leben zu tun hatte – er macht seit 20 Jahren nichts anderes, als für diese Kleinstbauern einzustehen und wirklich dagegen, ja, gegen alle Widerstände, für sie und ihre Rechte zu kämpfen. Er hatte so eine Freude daran, einfach einmal die Rolle des Investors zu übernehmen und diese ganzen Floskeln, die er schon tausendmal gehört hatte, selbst zu benutzen. Es war wirklich herrlich anzusehen, und wir konnten selbst kaum glauben, wie gut das aufgegangen ist und wirklich funktioniert hat.
Ja, bedanken möchten wir uns vor allem bei unserer Redaktion, und wir möchten uns natürlich bei Ihnen bedanken – und ich mich auch noch mal besonders bei meiner Mutter, weil die auch heute hier ist. Und weil ich ihr vorhin schon einen Blick zugeworfen habe, als hier auch schon eine andere Mutter erwähnt wurde, da hab ich gedacht, ich muss das auch noch erwähnen ... Also, vielen Dank!
Kristopher Sell:
Ja, liebe Pia, jetzt hast du mir noch 1:30 Min. gelassen (glaube ich), wie man bei uns Fernsehleuten sagt, deswegen fasse ich mich kurz.
Sehr geehrte Familie Quandt, sehr geehrte Frau Frau Kolster, sehr geehrte Damen und Herren,
gestatten Sie mir noch einen ganz kurzen Epilog – es geht schnell:
Spätestens seit der Flüchtlingskrise wissen wir alle: Längst ist Entwicklungspolitik auch Innenpolitik.
Berlin vergangene Woche: Im Rahmen des deutschen G20-Vorsitzes lädt die Kanzlerin private Investoren zum großen Afrika-Gipfel. Entwicklungshilfe – ja! Fluchtvermeidung durch privates Geld großer deutscher Konzerne in Afrika ... Abass dürfte das bekannt vorkommen.
Mit bei der Kanzlerin ein alter Bekannter von uns von „Panorama – die Reporter“: der Billigstklamottengigant KiK, dessen brutales Geschäftsmodell uns in zahlreichen Beiträgen und Reportagen in den letzten Jahren beschäftigt hat.
Im April 2013 machte KiK schließlich weltweit Schlagzeilen beim Einsturz einer illegal errichteten Textilfabrik in Dhaka in Bangladesh – in den Trümmern mehr als tausend tote Näherinnen und unzählige Textilien mit dem kleinen lachenden roten T-Shirt am Etikett, dem KiK-Logo.
Es ist dieselbe Firma, die letzte Woche in Berlin ihre Afrika-Pläne verkündet, nun quasi mit dem Segen der Bundesregierung als Entwicklungshelfer nach Afrika.
Zitat KiK-Chef: „Wie Bundeskanzlerin Merkel glaube ich, dass staatliche Entwicklungshilfe und privatwirtschaftliches Engagement miteinander kombiniert werden sollten, um in Afrika Fortschritte zu erreichen.“
Zyniker witzeln: Vier Jahre nach der Dhaka-Katastrophe, jetzt wo endlich in Asien die Mindeststandards in Sachen Mindestlohn und Sicherheit angehoben worden sind, zieht KiKs Ausbeutungskarawane weiter. Nun also Afrika.
Das Beispiel zeigt, es wird mal wieder schwer, Abass von diesem neuen „Role Model“ deutscher Entwicklungspolitik zu überzeugen. Es wird schwer werden, mit dieser Politik Flüchtlingsströme zu vermeiden, und es wird schwer werden, diese Zusammenhänge immer wieder neu zu recherchieren, aufzubereiten und Sendeplätze dafür zu finden: Deshalb danken wir Ihnen auch für diese Auszeichnung, wir sehen diesen Preis auch als ein Mandat, in diese Richtung weiterzumachen.
Vielen Dank.
- Michaela Kolster (Laudatio), Marc Neller, Stefan Quandt
Marc Neller erhält für seinen am 1. Mai 2016 in der Welt am Sonntag erschienen Artikel „Der Code des Bösen“ ein Preisgeld in Höhe von 7.500 €. Marc Neller beschäftigt sich mit der Welt der Cyberkriminalität. Der stilsichere und wortgewandte Artikel lässt den Leser intensiv daran teilhaben, wie einem der gefährlichsten Hacker der internationalen Cyber-Szene das Handwerk gelegt wird.
Zum Beitrag „Der Code des Bösen“
- Laudatorin Michaela Kolster
Atemlos
Irgendwo im tiefen Netz – da lauern sie halt – die, die nicht nur Gutes im Sinn haben. Warum sollte es im Netz auch anders sein als im wirklichen Leben. Unheimlich ist uns das vor allem deshalb, weil es so abstrakt ist, weil es so schwer vorstellbar ist, dass Codes, das Zahlenkombinationen sich reinfressen in unsere Computer, sie manipulieren, uns manipulieren, uns ausspionieren oder viel Geld abziehen.
Grenzen, andere Länder, andere Kulturen, Sprachen – all das spielt dabei keine Rolle – weltweit wird hier agiert. Marc Neller hat sich reingebissen in diese Geschichte, die nicht leicht zu durchschauen ist, die er aber verständlich runtergebrochen hat. Uns erklärt, wie das Ganze funktioniert.
Das geht nicht ohne Beispiel und sein Beispiel ist sehr überzeugend, denn hier spielt sogar das FBI mit. Neller nimmt uns mit auf eine Jagd. Es geht darum, dem Gegner immer einen Schritt voraus zu sein – seine Schritte zu antizipieren – wie beim Schach – was ist der nächste Zug?
Und schnell muss man sein, sonst ist vielleicht alles verloren, denn in der Anonymität des Netzes kann man sich zurückziehen wie im tiefen schwarzen Meer – unauffindbar.
Nellers Sprache ist schnell, packend und fast ein wenig atemlos – genau wie die Jagd, die hier stattfindet. Trotzdem geht er in die Tiefe und behält den Leser im Blick, denn trotz der komplizierten Materie schreibt er verständlich – der Laie hat das Gefühl dieser undurchdringlichen Welt im Netz ein Stück näher gekommen zu sein.
Fast wäre es schief gegangen, aber es ging gut und so haben wir in Wahrheit zwei Preisträger: zum einen Christian Russow, den Jäger in unserer Geschichte, der vom FBI prämiert wurde, und Marc Neller, den wir prämieren wollen, dafür dass er sich so tief auf eine Geschichte eingelassen hat und uns damit die geheimnisvolle, undurchsichtige Welt der Cyberkriminalität näher zu bringen.
Wir gratulieren Marc Neller!
- Marc Neller
So, ich bin hier auch noch kurz in der digitalen Transformation, mir ist nämlich mein Zettel mit den Stichworten unterwegs verloren gegangen, ich hab sie jetzt auf mein iPad geschrieben, und zur Überbrückung vielleicht noch für diejenigen unter Ihnen, die Dankesreden nicht so gerne hören – ich hab zwei gute Nachrichten für Sie.
Die erste: Sobald der Erste einschläft, hör ich auf (natürlich nicht!).
Die zweite: Ich werde mich wirklich kurzfassen.
Lieber Herr Quandt, liebes Kuratorium, meine sehr geehrten Damen und Herren,
wir leben in einer Zeit, in der ständig Dinge passieren, die eben noch undenkbar zu sein schienen. In Syrien führt ein Machthaber einen Krieg gegen sein Volk, in den USA – das kam gerade eben auch schon zur Sprache – amtiert ein Präsident, der die Ruchlosigkeit und Ranküne, die man aus „House of Cards“ kennt, manchmal beinahe wie eine müde Phantasie erscheinen lässt. In Europa verübt inzwischen mit erschreckender Regelmäßigkeit irgendein Irregeleiteter einen Anschlag, mit der Absicht, möglichst viele Menschen dabei umzubringen. In der Türkei werden Journalisten dafür ins Gefängnis gesteckt, dass sie ihren Job tun und recherchieren, und Staaten wie Russland oder China nutzen das Internet, um andere Staaten zu bekämpfen, und deren Regierungen und Behörden auszuspähen, die Wirtschaft auszuspionieren oder – das ist jetzt ein bisschen neuer – um Wahlen zu beeinflussen, wie wir das in den vergangenen Monaten in den USA gesehen haben oder wie wir in Frankreich zumindest den Versuch erlebt haben, das zu tun: Und all das, hätten wir eben noch gedacht, ist eigentlich undenkbar.
Und so gesehen, passt meine kleine Geschichte, die hier heute ausgezeichnet wird, ganz gut in diese Zeit.
Da ist zwar so ein Wissenschaftler, der nach einem Thema für seine Doktorarbeit sucht und ins Getriebe der Weltpolitik gerät. Und er jagt, ohne es anfangs auch bloß zu ahnen, einen der meistgesuchten Cyberkriminellen der Welt, wie es eben in dem Beitrag auch schon gesagt wurde. Und später – auch das kam in dem Beitrag kurz zur Sprache – sieht es sogar so aus, als hätte dieser Hacker nicht nur einen grandiosen Beutezug organisiert, sondern auch noch im Auftrag der Russen spioniert.
Kann man eigentlich schwer glauben, wenn man’s so hört.
Und jetzt steh ich hier vor Ihnen und nehme diesen Preis entgegen, den vor mir Reporter wie Stefan Willecke, Ullrich Fichtner oder Dokumentarfilmer wie Klaus Stern und Stephan Lamby bekommen habe: allesamt außergewöhnlich gute Journalisten und sehr, sehr, sehr präzise Beobachter.
Und das alles, nachdem ich gestern Abend in Berlin den Theodor-Wolff-Preis bekommen habe, eine Entscheidung, die die Jury erst am Nachmittag getroffen hat.
Kann nicht sein, hätte ich vor ein paar Wochen gedacht – es ist passiert, und dafür möchte ich mich bedanken: bei der Jury, bei Christian Rossow, der mir viel Vertrauen entgegengebracht hat – dem Helden meiner Geschichte –, und bei ein paar Menschen, die hier im Publikum sitzen und denen ich sehr viel zu verdanken hab. Danke.
- Michaela Kolster (Laudatio), Ann-Kathrin Nezik, Stefan Quandt
Ann-Kathrin Nezik erhält den Herbert Quandt Medien-Preis für ihren am 1. Oktober 2016 im Spiegel erschienen Beitrag „Schmerzpunkte überall“ ebenfalls mit einem Preis in Höhe von 7.500 € ausgezeichnet. Anschaulich schildert Ann-Kathrin Nezik am Beispiel eines mittelständischen Maschinenbauers, dass die Digitalisierung nicht mit der Markteinführung endet: Die Bereitschaft des Kunden entscheidet über Erfolg oder Misserfolg am Markt und letztlich darüber, ob und in welcher Form der Fortschritt in den Unternehmen Einzug halten wird.
Zum Beitrag „Schmerzpunkte überall“ (Der Spiegel)
- Laudatorin Michaela Kolster
Ein Weg ins Ungewisse
Der Maschinenbau – ist so eine Art Königsdisziplin der deutschen Wirtschaft. Für diesen Industriezweig und die damit verbundene Ingenieurskunst – dafür werden wir oft bewundert – im In- und im Ausland. Doch auch diese Branche muss umdenken – muss sich stellen der Industrie 4.0 Bewegung – der Verzahnung von Produktion und Informationstechnik.
Ein schmerzvoller Prozess, den Ann Kathrin Nezik sehr anschaulich und sehr konkret beschreibt. Ein Weg, der – so ihr Fazit – alternativlos ist und der erstmal ins Ungewisse führt. Sie schildert auf einfühlsame Art die zarte Annäherung an eine ganz neue Denke. Das ist anfangs nicht immer von Erfolg gekrönt, denn nun soll man fragen, was den Kunden denn so bewegt – für die Ingenieure von SMS ein Stück Neuland.
Sie schreibt über Zweifel und Unglaube, aber auch darüber, dass es kein Zurück gibt. Sie nimmt den Leser mit auf eine Reise von den Anfängen bis zu den ersten zarten Erfolgspflänzchen eines Änderungsprozesses, der es in sich hat. Sie beschreibt im Kleinen, was die Industrie im Großen zu leisten hat – zweigt auf, was zu tun ist, um zukunftssicher zu werden. Am Ende des Artikels ist man froh, dass es zumindest aufwärts geht, denn man ist den Machern von SMS durch ihre Beschreibung näher gekommen, bangt und hofft mit ihnen und man wünscht ihnen Erfolg.
Die Jury fand:
Ann-Kathris Nezik hat mit viel journalistischem Gespür die Relevanz eines Themas gut erkannt und gut umgesetzt.
Wir freuen uns, dass sie weiß wie man Geld offensichtlich gut anlegt und wir sagen herzlichen Dank und herzlichen Glückwunsch. Ann-Kathrin Nezik!
- Ann-Kathrin Nezik
Ja, vielen Dank für den sehr schönen Film! Ich dachte, dass es vielleicht etwas peinlich für mich sein könnte, es war dann überhaupt nicht peinlich – das hat Frau Soliman sehr schön gemacht.
Ich danke dem Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung sehr herzlich für diesen Preis – meinen ersten Journalistenpreis. Ich freue mich unheimlich über diese Auszeichnung für meine Reportage über den Maschinenbauer SMS, der sich auf die lange Reise in Richtung digitales Zeitalter gemacht hat. Der digitale Wandel ist das Mega-Thema unserer Zeit, es ist ein weitreichender Wandel, der über die Wirtschaftswelt hinausgeht und uns alle betrifft.
Das Interesse von Journalisten, die darüber berichten, gilt häufig dem Silicon Valley.
Dort sitzen Konzerne wie Google, Facebook, Apple, die bestimmen wollen, wie wir zukünftig kommunizieren, arbeiten, leben – und die schon jetzt großen Einfluss auf unseren Alltag haben. In Deutschland hingegen betreiben Start-ups den Aufstand von unten. Dabei hängt der Wohlstand Deutschlands, wie Politiker und Firmenlenker ja auch gerne betonen, davon ab, ob es der Old Economy, also der alteingesessenen Wirtschaft gelingt, sich zu wandeln.
Mich hat eine einfache Frage interessiert: Wie läuft es ab, wenn ein deutsches Unternehmen beschließt, sich zu erneuern? Ein Unternehmen, dessen Geschäft bislang nicht digital war.
Dass ich dabei auf SMS aus Düsseldorf stieß, war Glück. SMS baut Maschinen und Anlagen und steht damit im besten Sinne für eben jene Old Economy. Noch dazu ist SMS ein Unternehmen, das in der Krise steckt, weil die gesamte Stahlbranche momentan ziemliche Schwierigkeiten hat.
Die Fallhöhe, wie wir Journalisten gerne sagen, hätte also größer kaum sein können. Dass SMS die Türen für mich öffnete, mich sogar zu Kundenterminen mitnahm, war nicht selbstverständlich. Ohne diese Offenheit hätte ich die Geschichte sicher nicht schreiben können.
Drei Dinge habe ich während der Recherche gelernt:
Digitalisierung ist ein schwieriger, manchmal schmerzhafter Prozess für alle Beteiligten. Welten prallen aufeinander – im Fall von SMS die Welt der Ingenieure, deren Ruf darauf basiert, perfekte Maschinen zu konstruieren, und die Welt der Start-up-Leute, für die vor allem Schnelligkeit zählt. Es braucht Entschlossenheit.
Man muss die Transformation als Unternehmen, als Führungsspitze, wirklich wollen. Wandel braucht Zeit. Bis ein neues Denken wirklich in den Köpfen angekommen ist, vergehen Jahre. Die Recherche war für mich persönlich eine besondere Recherche. Ich bin die Tochter eines Maschinenbauers und ein Kind des Ruhrpotts, der einstigen Herzkammer der deutschen Schwerindustrie. Zu meinen Terminen bei SMS gehörte auch ein Besuch in der Werkstatt des Unternehmens in Mönchengladbach. Dort konnte ich beobachten, wie riesige, tonnenschwere Maschinenteile auf den Millimeter genau angefertigt werden. Das Können der Ingenieure und Meister hat mich ehrlich beeindruckt.
In Momenten wie diesen bin ich sehr froh über meine Berufswahl. Guter Journalismus entsteht nur dann, wenn Reporter Zeit haben – um nachzufragen, um mehrmals an einen Ort hinzufahren, um Entwicklungen zu beobachten. So lange, bis sie irgendwann das Gefühl haben: Jetzt habe ich verstanden, warum es eigentlich geht.
Dass ich mit dem SPIEGEL einen Arbeitgeber habe, der mir das ermöglicht, weiß ich sehr zu schätzen. Ich danke meinen Ressortleitern Armin Mahler, Susanne Amann und Markus Brauck dafür, dass sie mir von Anfang an alles zugetraut haben.
Ganz besonders möchte ich meinem Freund und meiner Familie für ihre langjährige Unterstützung danken und freue mich sehr, dass sie auch heute hier sind.
Als ich mit siebzehn als Lokalreporterin für die Westfälische Rundschau anfing, um mir neben der Schule etwas hinzuzuverdienen, fuhr mich meine Mutter anfänglich zu vielen Terminen – weil ich damals noch keinen Führerschein hatte und die Wege im Sauerland ohne Auto zu weit sind. Ohne den Fahrdienst meiner Mutter stände ich heute vielleicht nicht hier.
Vielen Dank und einen schönen Abend!