Medien-Preis 2015



30 Jahre Medien-Preis: Von der ersten Webdomain zum Silicon Valley
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
erlauben Sie mir, dass ich Sie nun mit auf eine kleine Zeitreise nehme: Wir schreiben das Jahr 1985. Das Jahr, in dem in Erinnerung an Herbert Quandt der Medien-Preis ins Leben gerufen wird. Zum ersten Mal wird die Einsendung von journalistischen Beiträgen erbeten, „die sich in anspruchsvoller und allgemein verständlicher Weise mit dem Wirken und der Bedeutung von Unternehmern und Unternehmen in der sozialen Marktwirtschaft auseinandersetzen“. Mehr ...

Auszeichnungen für ZEIT, ZDF, FAZ und ZDF/ARTE
2015 hat das Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung vier Preise in den Kategorien Print und Fernsehen vergeben. Sie sind mit insgesamt 50.000 Euro dotiert.
Ausgezeichnet werden Henning Sußebach für seine Reportage „Herr Hibbe macht zu“ (DIE ZEIT), Dirk Steffens für seine Dokumentation „Projekt Hühnerhof“ (ZDF), Lisa Nienhaus für ihre Reportage „Wie kommt das Geld in die Welt“ (FAS) sowie Hannah L. Prinzler für ihre Fernsehdokumentation „The Patent Wars“ (ZDF/ARTE).

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Feierliche Urkunden-Übergabe: Stephan-Andreas Casdorff, Henning Sußebach, Stefan Quandt
Henning Sußebach erhält den Herbert Quandt Medien-Preis für seinen Artikel „Herr Hibbe macht zu“, erschienen im Juli 2014 im Dossier der „ZEIT“. Der Preis ist mit einem Preisgeld in Höhe von 15.000 Euro dotiert.
Das Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung zeichnet damit eine
„wie mit der Lupe beobachtende, fesselnd geschriebene und stilistisch hervorragende Reportage über den fundamentalen Wandel in der Warenhaus-Welt“ aus.
Zum Beitrag "Herr Hibbe macht zu".
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Laudator Stephan-Andreas Casdorff
Das Dossier eines Lebens
Menschen mitzunehmen auf die Reise durch ein Leben – das ist zugleich wie eine Mitfahrgelegenheit durch das sehr eigene Erleben: ach ja! ... richtig! ... Donnerwetter! Genau diese Ausrufe oder auch Seufzer sind die Effekte, die wir als Journalisten erzielen wollen. Erzielen sollen. Erzielen können. Wenn wir uns Mühe geben. Und es ist Mühe, sich nicht zufriedenzugeben. Und sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen, sondern dies und das, worüber wir berichten, von dem wir erzählen. Dann wird das, was da geschrieben steht, immer noch nicht ewig gelten, aber für den Moment Bestand haben. Den Moment, in dem wir Betroffenheit oder Erkenntnis schaffen. Daher kommt doch der Sinn, der Hintersinn der Wendung: ein Werk schaffen. Da ist der Anspruch, hoch genug, ja, aber ihn zu erfüllen ist eben auch mit „es schaffen“ verbunden, mit dem Wollen und dem Werken und mit Arbeiten und Nichtaufgeben, das Erlebte zu beschreiben.
„Kurz treffen sich die Blicke von Kaufmann und Kunden. Durch das Glas starren sie ihn an wie einen kranken Fisch im Aquarium."
In 31535 Neustadt am Rübenberge, Niedersachsen schließt das Kaufhaus Hibbe. 115 Jahre, nachdem der Urgroßvater es begründete, macht der Urenkel es dicht. Wie hundert andere Geschäfte in hundert anderen deutschen Innenstädten stirbt es einen öffentlichen Tod. Stirbt am Internet. Stirbt an Geiz. Stirbt an Gleichgültigkeit. Stirbt auch an eigener Trägheit, von der noch zu reden sein wird. Doch nicht jetzt, um 8.30 Uhr, da sich die Türen öffnen und 10, 20, 30, 40, 50 Kunden an Klaus Hibbe vorbei ins Kaufhaus drängen, grußlos, mit grimmigen Schnäppchenjägergesichtern. ‚Wenn ihr alle früher mal gekommen wärt‘, flüstert Hibbe.“
Sie verstehen? Sie fühlen es? Sind mitgenommen, in jeder Hinsicht?
Das ist der Grund, warum Henning Sußebach ausgezeichnet wird: weil er nach Auffassung des Kuratoriums eine
„wie mit der Lupe beobachtende, fesselnd geschriebene und stilistisch hervorragende Reportage über den fundamentalen Wandel in der Warenhauswelt“
verfasst hat. Das Dossier eines Lebens.
Unser Dank ist der Preis!
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Preisträger Henning Sußebach
Sehr geehrte Familie Quandt, sehr geehrter Herr Casdorff, sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank! Selten war der Satz so passend wie hier und jetzt: „Ich bin von den Socken.“ Ich sorge jetzt ganz kurz dafür, dass Sie es auch sind, zumal ich schon darauf warte, dass ich heute darauf angesprochen werde. Das letzte Mal, als ich hier in der Gegend unterwegs war, trug ich so einen Bart und war verkleidet als Obdachloser. Und es kann sein, falls Sie in Kronberg im Taunus leben, dass ich auch bei Ihnen geklingelt habe. Die Aktion hat damals für sehr viel Aufsehen gesorgt und heute stehe ich für Kritik und Beschimpfung zur Verfügung. Aber in erster Linie möchte ich danken. Ich möchte danken für diese Auszeichnung. Ich möchte danken für alle, die zum Gelingen dieses Abends beitragen. Ich möchte meiner Zeitung danken, der Wochenzeitung „DIE ZEIT“, die Reportern so viel Freiheit lässt, dass ich wieder und wieder in eine Stadt namens Neustadt am Rübenberge fahren durfte. Und ich möchte Herrn Liechti danken für seine Superzitate. Und danken möchte ich auch einem Herrn, zwei Herren, die hier im Publikum sind, die wir auch im Film gesehen haben, das sind die Herren Sigg. Ohne die Herren Sigg hätte ich niemals Zugang zu diesem Kaufhaus bekommen, in diese mir wichtige und mikroskopisch spannende Welt. Die Herren Sigg machen Ausverkäufe. Und, was ich nicht hoffe, aber falls Ihr Laden mal in Not gerät, rufen Sie dort an.

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Stephan-Andreas Casdorff und Stefan Quandt überreichen Dirk Steffens (Mitte) die Urkunde.
Dirk Steffens wird für seine Dokumentation „Projekt Hühnerhof“, erstmals ausgestrahlt im September 2014 im ZDF, mit dem Herbert Quandt Medien-Preis in Höhe von 15.000 Euro geehrt.
Besonders preiswürdig erscheint dem Kuratorium, dass Dirk Steffens die Themen Massentierhaltung und Ernährungsverhalten nicht nur journalistisch reflektiert, sondern
„einen bemerkenswerten Rollenwechsel vollzieht, indem er im unternehmerischen Selbstversuch einen eigenen ökologischen Mastbetrieb aufbaut und dabei sehr authentisch über seine Erfahrungen berichtet“.
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Stephan-Andreas Casdorff
Ein unternehmerischer Selbstversuch
Zweimal 45 Minuten, ausgestrahlt zur besten Sendezeit im ZDF, um 20.15 Uhr. Das will schon mal etwas heißen, nicht? Erlebnisdokumentation, ein Begriff, den man sich merken muss. Erlebnis … Jeder von uns isst im Durchschnitt 11,7 Kilo Hühnchen im Jahr. Und das Fleisch ist so billig. Es ist wirklich nicht übertrieben zu sagen, dass Dirk Steffens ein einzigartiges Experiment wagt, indem er, ja, selbst Hühnermäster wird. Auf dem platten Land an sich selbst erfährt, was es heißt, zu züchten, zu wirtschaften, zu verkaufen, Menschen von dem eigenen Produkt zu überzeugen. Ökonom fürs Ökohühnchen, das will er werden. Und er wird es auch. Mit uns als Zuschauer in einer Art Road-Movie.
Wir schauen ihm ins Gesicht, schauen der Branche auf die Finger, sehen Anstrengung und Trauer und Freude und alles das, um was es hier auch geht in der wahren Wirklichkeit der Marktwirtschaft. Sogar Hühnchenrezepte gibt es, von Christian Rach. Nicht nur deshalb wird der Gesamtbeitrag dann irgendwie immer schmackhafter.
Denn Steffens macht auch sich zum Thema und das kann zunächst einmal durchaus leises Befremden hervorrufen. Ist das nicht doch … vielleicht … ein kleines bisschen … zu eitel? Ach herrje, nein! Nicht in diesem Fall. Und nicht nur, weil Steffens sympathisch rüberkommt. Es ist so gewesen, dass dem Kuratorium eben gerade preiswürdig erschien, wie der Autor diese beiden Megagesellschaftsthemen Massentierhaltung und Ernährungsverhalten nicht allein journalistisch reflektiert. Vielmehr macht er eben diesen harten, schwierigen unternehmerischen Selbstversuch. Ein wirklich bemerkenswerter, bewundernswerter Rollenwechsel, authentisch in den Erfahrungen und anrührend dazu. An einer Stelle dachte ich, mit einer Träne im lachenden Auge: Ich wollt’, ich wär’ sein Huhn.
Herzlichen Glückwunsch.
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Dirk Steffens
Meine Damen und Herren, liebe Familie Quandt, sehr verehrtes Kuratorium,
haben Sie eigentlich schon mal die Gelegenheit gehabt, ein Huhn beim Eierlegen zu beobachten? Das Huhn sieht wirklich angestrengt aus während des Vorgangs. Und wenn es dann vollbracht ist, dann steht es auf und gackert glücklich, und zwar eine ganze Weile lang, es tanzt richtig um das Nest herum und guckt so ein bisschen von sich selbst beeindruckt zurück auf das, was da hinten rausgekommen ist. Ich muss gestehen, dass ich mich, als Herr Dr. Appelhans mich angerufen hat, ein bisschen gefühlt habe wie ein Huhn nach dem Legen eines Eis. Zum Glück hat das keiner gesehen, ich war allein in meinem Arbeitszimmer. Inzwischen habe ich mich wieder beruhigt und kann jetzt also ganz ordnungsgemäß eine kleine Dankesrede abliefern.
Natürlich möchte ich mich zuerst und vor allem bei der Familie Quandt für das Ausloben so eines Preises bedanken und beim Kuratorium dafür, dass ich dieses Mal zu den Preisträgern zählen darf. Warum ist so ein Journalistenpreis eigentlich wichtig? Natürlich sind wir alle ein wenig eitel, und man freut sich als Journalist, wenn man einen Preis bekommt. Aber das vergeht schnell. Viel wichtiger sind die Langzeitwirkungen so eines Preises. Wenn man ein sperriges Thema angeht, dann hilft es sehr, wenn dafür ab und zu auch Preise verliehen werden, um Redaktionen, Fernsehsender oder Zeitungsverlage zu überzeugen, solche Themen anzugehen. Und deshalb vielen Dank für diesen Preis.
Nun zu den Beteiligten: Da ist zunächst Carsten Bauck, den haben Sie schon kurz in diesem Film kennenlernen dürfen – er ist auch heute Abend da, da drüben sitzt er. Carsten, ohne dich hätte es ja diesen Film gar nicht gegeben. Carsten Bauck ist der Ökolandwirt, der es erlaubt hat, dass ich dieses Experiment auf seinem Hof durchführe. Er ist für mich auch der Beweis dafür, dass eine andere Landwirtschaft möglich ist, die vielleicht eine bessere ist. Ich freue mich schon auf unser nächstes Bier, Carsten, aber bitte nicht wieder grillen, okay?
Ich möchte mich außerdem bedanken bei Christine Bremer, die auch heute hier ist, die ist nämlich die Hühnerexpertin auf dem Bauckhof. Und ich habe von ihr sehr viel über diese Tiere gelernt. Gehst du eigentlich immer noch jeden Abend in den Stall und sagst: „Danke, liebe Hühner“? Wenn man einen Tag mit ihr im Stall verbringt, wird man danach Tiere nie wieder als Dinge betrachten.
Ich möchte auch Arnd von Hugo danken – auch den haben Sie im Film gerade kennengelernt –, dem konventionellen Mäster, der so mutig war, in einer Situation, in der die öffentliche Stimmung natürlich sehr kritisch mit konventionellen Mästern umgeht, uns seine Stalltüren zu öffnen. Das war wirklich mutig von ihm.
Vielen Dank an Susanne Becker von der Redaktion und die Redaktionsleitung Nathalie Müller-Ellmau. Dann ist Michaela Hummel da, die Produzentin, die Sie gerade im Film schon kennengelernt haben, die wirklich als Produzentin alles gegeben hat, und dieses Alles ist bei ihr echt eine Menge. Dank an unsere Autorin Caro Pellmann, den Kameramann Oliver Kratz und natürlich das ganze Team.
Jetzt fehlt auf meiner Dankesliste eigentlich nur noch ein Name. Dafür möchte ich Ihnen ein paar Interna über die Prozesse bei einem Fernsehsender wie dem ZDF ausplaudern. Wenn Sie da durch die Flure der Redaktion gehen und sagen: „Hey, ich möchte zweimal um 20.15 Uhr zur Primetime eine Dokumentation über Massentierhaltung ausstrahlen“, dann ist es nicht so, dass Sie dafür Applaus bekommen, denn alle wissen, normalerweise sind solche Themen Quotenkiller. Und die Quote ist, egal wie wir das nun finden, nun mal die Währung, wenn man es ins Fernsehen schaffen will. Aber als ich vor drei Jahren die Idee zum Projekt Hühnerhof hatte, da bin ich halt nicht in irgendeine Redaktion gegangen, sondern zu Peter Arens, der ist Kultur- und Wissenschaftschef beim ZDF und ein wenig verrückt. Er wagt nämlich immer wieder Projekte, deren Ausgang völlig ungewiss ist. Und Peter hat, als ich dieses Projekt vorgeschlagen habe, sofort – und ich meine sofort – „Ja“ gesagt. Danke für deinen kreativen Wahnsinn.
Es hat dann zwar noch zwei Jahre gedauert, bis alle anderen dabei waren und wir endlich loslegen konnten. Insgesamt sind also drei Jahre vergangen. Und heute, finde ich, ist das dieser wunderbare Höhepunkt des gesamten Projektes Hühnerhof. Aus der kleinen Idee ist wirklich ein großes Ei geworden, ein goldenes sogar, denn der Quandt Medien-Preis ist ja sogar mit Geld dotiert. Das ist sehr selten bei Journalistenpreisen. Ich weiß auch schon, wofür ich dieses Geld verwenden werde. Das nächste Projekt ist noch viel größer, und es wird wahrscheinlich noch sehr viel schwieriger, es zu finanzieren, aber ich habe eine gute Nachricht: Peter hat schon wieder „Ja“ gesagt. Es ist wieder ein herrlich riskantes Projekt. Und spätestens jetzt, Peter, jetzt habe ich es öffentlich gesagt, jetzt müssen wir es auch tatsächlich durchziehen. Beim nächsten Projekt wird es um das Artensterben gehen. Auch hier wieder um die ökonomischen Aspekte eines scheinbar ökologischen Themas. Seit die Dinosaurier ausgelöscht worden sind, verschwinden auf unserem Planeten mehr Arten als je zuvor. Dieses Massensterben wird massive Folgen für die menschlichen Gesellschaften und alle Ökonomien auf diesem Planeten haben. Vielleicht wird es das wichtigste Zukunftsthema überhaupt. Das ist also wirklich ein dickes Ei, das wir versuchen da auszubrüten, aber ganz vielleicht wird es ja wieder ein goldenes. Und dann sehen wir uns hier wieder, was mich wirklich freuen würde. Vielen Dank!

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Stephan-Andreas Casdorff, Lisa Nienhaus, Stefan Quandt
Lisa Nienhaus erhält einen mit 10.000 Euro dotierten Herbert Quandt Medien-Preis für ihre Reportage „Wie kommt das Geld in die Welt“, erschienen in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ im Mai 2014.
Das Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung würdigt die Reportage als
„in besonderer Weise gelungenes Erklärstück, das aus einer einfachen Frage die komplexen Mechanismen der Geldschöpfung entwickelt und den Leser dabei an die wichtigen Schaltstellen der Finanzwirtschaft führt“.
Zum Beitrag "Wie kommt das Geld in die Welt?"
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Stephan-Andreas Casdorff
Komplexe Mechanismen - kinderleicht erklärt
So viele Fragen hält das tägliche Leben bereit, und irgendwie sind alle berichtenswert. Politisch sowieso. Das sage ich, damit wir uns alle mal nicht vertun. Denn das wissen wir doch seit den alten Griechen, seit der Sache mit der Polis und der Agora.
Also, Fragen: Wie hart sind unsere Richter? Was ist ein guter Vater? Macht Politik einsam? Zum jeweiligen Thema kann es natürlich einen Essay als Antwort geben – aber eine Reportage, die bringt es uns näher. Am besten verbunden mit einer Langzeitbeobachtung, mit Recherche, nicht wahr? Wie bei Lisa Nienhaus.
Ihre Reportage „Wie kommt das Geld in die Welt?“ ist erschienen in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Und ja, die kann, die Zeitung, und die Autorin auch. Hochpolitisch ist sie, hochwirtschaftlich – aber auf dem Boden der Tatsachen. Nicht aus dem Elfenbeinturm, nicht nur aus dem Eurotower oder dem Turm einer Privatbank, vielmehr hands-on, sprich so wie ein freundlicher Herr in ihrem Stück auf Wunsch seiner Tochter seinen Beruf beschreibt: „Ich bringe ein paar Münzen mit und verteile sie an die Hälfte der Kinder. Die können sie mir dann geben – sie sind die Anleger, ich bin die Bank. Und ich kann diese Geldstücke dann an die anderen Kinder verleihen – das sind die Kreditnehmer.“
Kinderleicht erklärt. So kommt das Geld in die Welt. Da fanden wir in der Jury: Lisa Nienhaus ist es in besonderer Weise gelungen. Sie hat aus einer einfachen Frage die komplexen Mechanismen der Geldschöpfung entwickelt und den Leser dabei an die wichtigen Schaltstellen der Finanzwirtschaft geführt. Was dazu führt, dass sie Preis und Geld bekommt!
Vielen Dank, Lisa Nienhaus.
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Lisa Nienhaus
Lieber Herr Casdorff, lieber Herr Quandt, liebe Familie Quandt, liebe Jury,
ganz herzlichen Dank für den Preis, über den ich mich wirklich sehr, sehr freue. Auch deshalb, weil sich in meiner Redaktion so viele mit mir gefreut haben. Nicht nur in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, sondern auch die Kollegen der F.A.Z. Kurz nachdem ich als Preisträgerin bekannt gegeben wurde, traf ich zum Beispiel die Leiterin der Wirtschaftspolitik der F.A.Z. auf dem Flur, und sie sagte zu mir: „Schön, dass Sie diesen Preis bekommen. Endlich geht er auch mal wieder an einen von uns. Wir dachten schon, es läge ein Fluch darauf.“ Wir von der F.A.Z. und F.A.S. dürfen heute freudig erkennen: Nein, es liegt kein Fluch auf dem Quandt-Preis. Nach zwölf Jahren bekommt auch wieder jemand von der F.A.Z. diesen Preis. Und Sie, liebe Jury, sehen heute: Ihre Entscheidungen werden genau beobachtet.
Wie Sie in dem schönen Film vorhin gesehen haben, beschäftigt sich mein Artikel damit, wie das Geld in die Welt kommt, und zwar nicht das Bargeld, sondern das virtuelle Geld. Das ist zugegebenermaßen kompliziert, aber auch wahnsinnig interessant. Ich weiß noch genau, wie erstaunt und elektrisiert ich war, als ich in meinem zweiten Semester Volkswirtschaftsstudium zum ersten Mal etwas über die Geldschöpfung erfahren habe. Ich konnte es nicht glauben: Der größte Teil des Geldes auf der Welt existiert nur virtuell. Bis dahin hatte ich geglaubt, dass mein ganzes Geld, das auf meinem Konto liegt, auch irgendwo im Tresor der Bank liegt.
Nach dieser frühen Erkenntnis habe ich das dann mal eine Zeit lang vergessen, denn wozu muss man das wissen? Eigentlich gar nicht, solange alles gut läuft. Im Prinzip ist es wie mit dem Auto, mit dem einige hier im Publikum sich ja etwas besser auskennen als ich. Man muss nicht wissen, wie das Auto entsteht, wie es gebaut wird. Hauptsache, es fährt – beziehungsweise: solange es fährt. Denn wenn es dann mal nicht mehr fährt, beginnen sich doch viele für die Technik des Autos zu interessieren. Meine rudimentären Kenntnisse darüber, was unter der Motorhaube vorgeht – die Autobauer mögen das verzeihen –, stammen von Pannen.
Genauso ist es mit dem Geld. Wir interessieren uns jetzt dafür, wie genau Geld entsteht, weil es mit dem Euro nicht so gut läuft. Die Eurokrise, aber auch die Finanzkrise 2008 haben uns aufmerksamer gemacht. Heute ist deshalb wohl einer der besten Tage, um den Preis für diesen Artikel zu bekommen, denn während wir hier feiern, tagt in Brüssel ein Krisengipfel zu Griechenland, Ausgang ungewiss. Und wieso Griechenprobleme gerade jetzt drängend werden, kann man eigentlich nur verstehen, wenn man ein bisschen etwas davon versteht, wie das Geld in die Welt kommt.
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: In meinem Artikel geht es nicht um Griechenland, überhaupt nicht. Man kann ihn nur benutzen, um die Probleme des Euro zu verstehen, ja, man braucht solche Kenntnisse sogar. Ich selbst habe allerdings eine Klasse extrem interessierter und neugieriger Journalistenschüler gebraucht, um mich noch einmal mit der Geldschöpfung zu befassen. Ihnen sollte ich Geldpolitik beibringen, und sie stellten so viele Fragen, die ich nicht beantworten konnte, obwohl ich doch eigentlich dafür zuständig war, über Geldpolitik zu berichten. Zu viele Details waren mir unbekannt, und ich merkte dazu noch, wie brennend sich die Studenten dafür interessierten, wie es denn jetzt ganz genau ist, wenn dieses Geld entsteht.
Das muss vielen so gehen, dachte ich, und deshalb und nur deshalb habe ich für diesen Artikel recherchiert und mich ins Zentrum des Geldgeschäfts begeben, zur EZB, zur Bundesbank, zu den privaten Banken und am Schluss eben – das kam ja auch schon im Video vor – in diesen einen Raum, in dem die Leute arbeiten, die am Ende den Knopf drücken, und das Geld ist in der Welt. Dort Zugang zu erhalten, das habe ich tatsächlich erst ganz knapp vor Erscheinen des Artikels, ich glaube zwei Tage vorher, geschafft – nach vielen, vielen Terminen quer durch die Bundesbank-Hierarchie –, als ich schon fast selbst nicht mehr daran glaubte. Konsequenterweise beginnt der Artikel mit dieser Begegnung mit einem jungen Bundesbankangestellten, der die Milliarden schafft.
Sie sehen, ich habe mit dem Artikel auch viel Spaß gehabt, so kompliziert das Thema auch erscheinen mag. Bedanken möchte ich mich bei der Europäischen Zentralbank und der Bundesbank, sie haben mich hinter die Kulissen blicken lassen, was nicht selbstverständlich ist. Sie haben meine unzähligen Fragen beantwortet und mir immer wieder neue Gesprächspartner gesucht. Das war nicht einfach mit mir, glaube ich. Danken möchte ich auch meinem Herausgeber Holger Steltzner, der sich für Geldthemen ähnlich brennend interessiert wie ich, und ganz besonders meinem Ressortleiter Rainer Hank, der für solche Projekte, die viel Zeit fressen, so offen ist, sie sogar einfordert und gleichzeitig der Erste ist, der schon nach einer Woche fragt: „Wann ist denn Ihr Text so weit? Sie recherchieren doch schon seit einer Ewigkeit.“ Danke, dass Sie mir geglaubt haben, wenn ich gesagt habe: „Es dauert noch ein bisschen“, und dass Sie trotzdem immer hartnäckig Woche für Woche nachgebohrt haben. Guter Journalismus, guter Wirtschaftsjournalismus braucht Zeit, was schwierig ist in Zeiten, in denen immer weniger Journalisten die vielen Seiten der Zeitungen der Welt füllen müssen. Aber der Journalist braucht nicht nur Zeit, sondern auch jemanden, der sich für sein Thema interessiert, jemanden, der es unbedingt haben will und am Ende viel Platz freiräumt dafür in der Zeitung. Da habe ich in meiner Redaktion viel Glück.
Nicht zuletzt möchte ich natürlich der Familie Quandt und der Jury danken. Ich freue mich wirklich sehr über den Preis und ich freue mich auf einen schönen Abend heute.

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Hannah Leonie Prinzler erhält die Urkunde von Laudator Stephan-Andreas Casdorff und Stefan Quandt.
Hannah L. Prinzler erhält einen mit 10.000 Euro dotierten Herbert Quandt Medien-Preis für ihre Fernsehdokumentation „The Patent Wars“, ausgestrahlt im Juli 2014 im ZDF/ARTE.
Bei der Dokumentation von Hannah L. Prinzler beeindruckt das Kuratorium die
„filmische, dramaturgische und narrative Klarheit, mit der die Autorin auf einer globalen Reise das vielschichtige Thema Patente durchdringt und dabei dem Zuschauer die Chancen, aber auch die Schattenseiten von Patenten vor Augen führt“.
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Stephan-Andreas Casdorff
Glaubwürdige Medienkunst
Sie gehören sich gar nicht! Ja, da schauen wir ungläubig, aber so ist es wohl. 20 Prozent unserer Gene sind patentiert und gehören privaten Unternehmen. Unsere Gene! Wieso lässt sich so etwas wie ein Gen überhaupt patentieren? Das ist auch so eine dieser Fragen. Die muss man sich erst einmal fragen. Wie Hannah Leonie Prinzler. Und dann losreisen, nachfragen. Hinein in die Schule des Skeptizismus, herauskommen mit Antworten. Vom englischen Erfinder James Dyson über Patentanwälte bis hin zu Spitzenunternehmern. Antworten finden im Silicon Valley und in Genf, wo die Weltzentrale geistigen Eigentums zu Hause ist, oder im Indian Valley, wo sie sich gegen Patente auf Reis oder Yogaposen wehren. Patente sind Schwerter, schrieb die New York Times.
Reden wir hier etwa von einem Krieg? Das ist die Frage. Hannah Leonie Prinzler hat sie sich gestellt, hat das Thema gesehen im Sinne von erkannt, und sie öffnet uns die Augen, buchstäblich. Filmisch, dramaturgisch, erzählerisch eindringlich. Eine Reise durch die Welt, um die Welt der Patente zu erhellen. Die Chancen sind sonnenklar, aber auch die Schattenseiten werden es.
Prinzlers Werkstatt der Worte und der Bilder – sie erinnert uns daran, dass es Medienkunst wirklich gibt, nicht nur als Studienfach. Dass wir an etwas bauen, das Glaubwürdigkeit heißt. Dass wir sogar Künstler für den Tag werden können. Künstler, wenn wir vom Können kommen. Wenn man es richtig einordnet und wenn wir uns von keiner anderen Rücksicht leiten lassen als der Abhängigkeit von dem, was wir schaffen wollen. Ein Stück Erkenntnis. Preiswürdig ist das passende Wort!
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Hannah Leonie Prinzler
Lieber Herr Quandt, lieber Herr Casdorff, liebe Familie Quandt, liebe Kuratoriumsmitglieder und sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte mich sehr, sehr herzlich für den Herbert Quandt Medien-Preis bedanken. Als ich vor einigen Wochen einen Anruf von Herrn Dr. Appelhans bekam, der mir die Juryentscheidung mitteilte, hat es erst mal eine Weile gedauert, bis ich die Nachricht tatsächlich verarbeitet hatte. Hier und heute fühlt es sich jetzt aber sehr real an. Ich freue mich sehr über diesen Preis, weil der Film ein echtes Herzblutwerk ist und weil mich die Arbeit daran über inzwischen mehr als fünf Jahre begleitet hat. Und da ich mit meiner Arbeit natürlich auch meinen Lebensunterhalt verdienen muss, freue ich mich umso mehr über die mit dem Preis verbundene Dotierung. Wer die Bedingungen kennt, unter denen viele Dokumentarfilme heute in der Regel produziert werden, weiß, dass das Preisgeld in einem nicht unerheblichen Verhältnis zum Autorenhonorar steht. Umso bedeutender ist der Preis für mich.
Ich freue mich auch ganz besonders, für den Film einen Preis für Wirtschaftsjournalismus zu erhalten. Wie Sie gesehen haben, bin ich weder Wirtschaftsjournalistin noch Journalistin im eigentlichen Sinne, sondern Dokumentarfilmemacherin und Videokünstlerin. Bei dem doch oft sehr komplexen und sperrigen Thema meines Films habe ich allerdings gerade das oft auch als Vorteil empfunden. Etwas außerhalb zu stehen und mich mit Neugier nähern zu können, hat oft geholfen, den juristisch-technischen Fachjargon der Patentwelt zu durchbrechen. Es ist – nebenbei bemerkt – mitunter auch manchmal ganz hilfreich, wenn man von seinen Interviewpartnern ein bisschen unterschätzt wird. Dennoch war es mir natürlich sehr wichtig, das Thema umfassend zu recherchieren und die verschiedenen – wie Sie gesehen haben – teilweise sehr widerstreitenden Standpunkte und Konflikte abzubilden. Und ich freue mich deshalb sehr über die Anerkennung für meine Recherchearbeit, die mit dem Medien-Preis verbunden ist.
Ich habe mit der Arbeit an dem Film damals begonnen, weil ich den Eindruck hatte, dass das Thema Patente in den Medien nur auf wenige Aspekte konzentriert behandelt wird. Dadurch kann man den Eindruck gewinnen, es ginge bei Patenten vor allem um Investitionsschutz oder wie bei den Gerichtsprozessen zwischen Firmen wie Apple und Samsung um eine aggressive Verteidigung von Marktanteilen. Ich möchte mit dem Film aber auch noch einmal in Erinnerung rufen, dass es ursprünglich einmal andere Fragen waren, die die Autoren der amerikanischen Verfassung zur Einführung des ersten modernen Patentgesetzes der Welt bewogen haben. Sie hat beschäftigt, wie man dafür sorgen kann, dass Menschen ihr Wissen mit der Gemeinschaft teilen, anstelle es geheim zu halten, wie man genug Anreize schaffen kann, ökonomische Anreize, damit Dinge erfunden werden, die die Gesellschaft als Ganzes voranbringen. Daher finde ich es wichtig, über Patente nicht nur vom Standpunkt der Wirtschaft, sondern auch vom Standpunkt der Gesellschaft aus zu diskutieren. Ich würde mich freuen, wenn mein Film dazu einen Beitrag leisten kann, und ich habe die Hoffnung, dass auch der Medien-Preis hilft, diese Debatte noch ein Stück weiterzutragen.
Ein Film entsteht natürlich immer in Teamarbeit, und deswegen möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, mich bei meinen Mitstreitern und Mitstreiterinnen ganz herzlich zu bedanken, vor allem bei meinen beiden Produzenten Katrin Springer und Volker Ullrich, die das Projekt von Anfang an begleitet haben, bei Kathrin Brinkmann von ZDF/ARTE und unseren Förderern, die den Film überhaupt erst ermöglicht haben. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass ein Film über das Patentsystem nicht automatisch die Herzen von Redakteuren und Förderern höherschlagen lässt. Umso dankbarer bin ich Kathrin Brinkmann dafür, dass sie ihr Vertrauen in mich und die Produktionsfirma gesetzt und sich auf das Wagnis eingelassen hat. Ich danke meinen kreativen Mitarbeitern für ihre Begeisterung und Leidenschaft, ganz besonders meinem Kameramann Rasmus Sievers, und natürlich auch meinem Partner und meiner Familie für ihre Geduld und Unterstützung. Außerdem möchte ich mich hier auch noch einmal bei Tina Soliman und Torsten Lapp für das Filmporträt bedanken. Es hat Spaß gemacht, mit euch zusammenzuarbeiten, und es war für mich auch eine erkenntnisreiche Erfahrung, mal auf der anderen Seite der Kamera zu sein. Aber vor allem gilt mein Dank heute Ihnen, lieber Herr Quandt und liebe Familie Quandt, und Ihrer Stiftung. Der Preis hilft ungemein, auch in Zukunft wieder so einen Film zu machen. Vielen herzlichen Dank.