100 Jahre Herbert Quandt
Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren!
Ich heiße Sie herzlich willkommen zur diesjährigen Verleihung des Herbert Quandt Medien- Preises und möchte – sicherlich auch in Ihrem Namen – zuallererst unsere Preisträger und damit wichtigsten Personen des heutigen Abends begrüßen:
Herr Zumstein vom Schweizer Fernsehen, Herr Brost und Herr Uchatius von der ZEIT, Frau Hadatty und Frau Wätjen vom rbb, und Herr Katzensteiner, Herr Dr. Riedl, Herr Böschen, Herr Schönwitz und Herr Seiwert von der WirtschaftsWoche,
Sie haben sich in Ihren Beiträgen in anspruchsvoller Weise mit dem Wirken und der Bedeutung von Unternehmern und Unternehmen auseinandergesetzt. Für diese herausragenden Leistungen darf ich Ihnen im Verlauf des heutigen Abends eine Auszeichnung überreichen, die in diesem Jahr unter einem ganz besonderen Stern steht:
Wir feiern am heutigen Abend nicht nur Sie, liebe Preisträger. Auch der Medien-Preis feiert dieses Jahr ein Jubiläum: Heute vor genau 25 Jahren wurde der Herbert Quandt Medien-Preis im Gedenken an die Persönlichkeit und das Lebenswerk des Unternehmers Herbert Quandt zum ersten Mal verliehen. Doch damit nicht genug: Herbert Quandt selbst wäre am heutigen Tage 100 Jahre alt geworden.
Im Günther-Quandt-Haus in Bad Homburg, in dem unsere Familie seit 1967 ihren Sitz hat, haben wir gestern aus diesem Anlass eine Ausstellung für Mitarbeiter und Gäste des Hauses eröffnet, die den Titel trägt: „100 Jahre Herbert Quandt“. Obwohl mein Vater bereits vor über 28 Jahren verstorben ist, haben wir diesen Titel ganz bewusst gewählt. Denn als Familie sind wir der Ansicht, dass das unternehmerische Handeln Herbert Quandts über seinen Tod hinaus weitreichende Wirkung erzielte, und dass viele seiner Überzeugungen und Werte bis heute Gültigkeit haben. Ich möchte daher an diesem Abend die Gelegenheit ergreifen, gemeinsam mit Ihnen einige dieser „Facetten einer Persönlichkeit“ – so lautet der Untertitel der vorgenannten Ausstellung –, näher zu beleuchten.
Dabei möchte ich keine Lichtgestalt auf ein Podest heben. Im Gegenteil: Die Summe eines Lebens besteht nicht nur aus Errungenschaften und Erfolgen, sondern zu einem bedeutenden Maße auch aus Schicksalsschlägen oder Niederlagen, aus der Bewältigung von Krisen und Herausforderungen.
So gab es in der Biografie meines Vaters eine Reihe von Zäsuren, die seinen Lebensweg mitbestimmt haben und die ihn zu der Unternehmerpersönlichkeit haben reifen lassen, an die wir uns heute erinnern.
Doch blicken wir zunächst zurück: Mein Urgroßvater Emil Quandt begründete die unternehmerische Tradition der Familie, indem er gemeinsam mit seinem Schwager 1883 die Pritzwalker Tuchfabrik Gebr. Draeger in der Mark Brandenburg übernahm. Mein Großvater Günther Quandt ließ sich später in Berlin nieder und erwarb von dort aus in den zwanziger und dreißiger Jahren zahlreiche industrielle Beteiligungen. Mit der Übernahme der Aktienmehrheit an der Accumulatorenfabrik AG im Jahre 1923 schuf er die Basis für das dynamische und internationale Wachstum der unternehmerischen Aktivitäten unserer Familie.
Bereits am 22. Juni 1910, wie erwähnt heute vor 100 Jahren, wurde mein Vater als zweiter Sohn in diese unternehmerische Familientradition hineingeboren. Für die Nachfolge war jedoch für lange Zeit sein älterer Bruder Hellmut vorgesehen, nicht zuletzt, weil bei meinem Vater in seiner Kindheit ein schwerwiegendes Augenleiden diagnostiziert wurde, welches unaufhaltsam fortschreiten und im Laufe von Jahrzehnten zum fast vollständigen Verlust seines Augenlichts führen sollte. Eine solche Diagnose in jungen Jahren war sicherlich mehr als ein herber Rückschlag. Doch Herr Dr. v. Kuenheim hat Jahrzehnte später einmal in der Beeinträchtigung der Sehkraft meines Vaters – wie ich meine nicht zu unrecht – einen Grund für seine spätere unternehmerische Stärke gesehen.
Lieber Herr Dr. v. Kuenheim, ich darf Sie an dieser Stelle ganz herzlich begrüßen und mir erlauben, Sie kurz zu zitieren:
„...wir wissen, dass jenes Leiden, das Sie in früher Kindheit befiel - ein Leiden, das Sie ,annahmen‘ und durch äußerste Disziplin und Willensanspannung überwanden und meisterten – Sie nicht ärmer, sondern, im menschlichen Sinne, reicher gemacht hatte; wir wissen, dass dieses ICH KANN es war, dass dazu beitrug, über das Ihnen Zugemessene hinauszuwachsen und mit Anforderungen fertig zu werden, die im Auf und Ab des Lebens manche Kraftnatur umgeworfen hätten.“
Doch gab es auch familiäre Ereignisse in Herbert Quandts Leben, die seinen Weg maßgeblich beeinflusst haben.
So verlor er bereits im Alter von acht Jahren seine Mutter, was sicherlich zu einer frühen Selbstständigkeit der beiden Söhne Hellmut und Herbert führte. Und im Jahre 1927 lenkte der frühe Tod seines älteren Bruders den zu diesem Zeitpunkt erst siebzehnjährigen Herbert in die Bahn der unternehmerischen Nachfolge.
Über die Familie hinaus war das Leben meines Vaters – wie auch das seiner gesamten Generation – begleitet und geprägt von politischer und wirtschaftlicher Instabilität. Vier verschiedene Staatssysteme und zwei Weltkriege prägen Herbert Quandts Lebensbilanz: Hineingeboren ins Deutsche Kaiserreich, erlebte er als Kind in der Weimarer Zeit das Entstehen einer ersten fragilen Republik und das Drama von Geldentwertung und Massenarbeitslosigkeit. Dann, als junger Berufsanfänger, erfuhr er unter dem Regime Hitlers und nach Ausbruch des Krieges den Sieg von Antihumanität und Willkür, dem nach dem völligen Zusammenbruch die Entstehung einer stabilen Demokratie und mit der sozialen Marktwirtschaft der Aufbau eines neuen Wirtschaftssystems folgten.
Herbert Quandt war Zeitzeuge und Betroffener dieser großen Veränderungen. Unter dem Regime Hitlers und nach Ausbruch des Krieges erlebte er eine Kriegswirtschaftsverordnung mit staatlichen Vorgaben für die Preis- und Beschäftigungspolitik und für Betriebs- und Produktionserweiterungen.
Für uns Nachgeborene ist es schwer zu beurteilen, welche Handlungsalternativen ein Unternehmer im Hitlerstaat hatte. Es ist eine Tatsache, dass am Widerstand gegen das Regime so gut wie keine Unternehmer mitwirkten – auch mein Vater und mein Großvater zählten nicht dazu. In den Augen vieler Menschen, insbesondere aus späteren Generationen, ist dies enttäuschend.
Meine Damen und Herren,
Sie alle wissen, dass unsere Familie vor zwei Jahren den Bonner Geschichtsprofessor Joachim Scholtyseck damit beauftragt hat, die historischen Fakten zur Geschichte der Familie Quandt von 1874 bis 1954 zusammenzutragen und dabei auch das Handeln der Familienmitglieder im historischen Kontext einzuordnen. Wie angekündigt, nimmt die wissenschaftliche Arbeit drei Jahre in Anspruch. Für die Ergebnisse streben wir eine Veröffentlichung im Herbst nächsten Jahres an. Sie werden daher verstehen, dass ich über meine vor zwei Jahren an dieser Stelle gemachten Anmerkungen hinaus heute weder auf Details noch wertend auf die im öffentlichen Fokus stehende Zeit des Nationalsozialismus eingehen möchte.
Während des Zweiten Weltkrieges hatte Herbert Quandt nach eigenen Worten weitestgehend „unter der Hand seines Vaters“ agiert. Erst nach der Verhaftung und Internierung Günther Quandts im Jahre 1946 fiel für eine kurze, aber kritische Zeitspanne der Wiederaufbau der Quandt-Unternehmen in die alleinige Verantwortung meines Vaters.
Als vorübergehende Konzernzentrale hatte er einige Baracken in Bissendorf bei Hannover bauen lassen, wohin man aus dem besetzten Berlin geflohen war. Ein Wegbegleiter meines Vaters erinnerte sich später mit folgenden Worten an diese Zeit:
„Das Leben war denkbar primitiv. Als Rasierspiegel diente uns ein Trümmerstück eines Flakscheinwerfers, in dem wir alle sehr lange und hohe Köpfe hatten. Zu Essen hatten wir nicht viel. Als Kochgerät diente uns ein kleines eisernes Öfchen. Die Stimmung war in dieser Hütte […] trotzdem großartig und in erster Linie zu verdanken der Haltung von Herrn Quandt, der niemals über die zeitweise höchst miserablen Verhältnisse klagte und allen wirklich in dieser Notzeit ein Vorbild war.“
1948 wurde Günther Quandt aus der Internierung entlassen und ließ es sich nicht nehmen, wieder selbst das Ruder zu übernehmen; für meinen Vater nach der von ihm in alleiniger Verantwortung durchaus erfolgreich gestalteten Aufbauphase sicherlich keine leichte Situation, in die er sich jedoch mit familiärer Disziplin fügte.
Erst nach dem Tode Günther Quandts im Jahre 1954 stand er – nun gemeinsam mit seinem elf Jahre jüngeren Halbbruder Harald – wieder an der Spitze der damals noch als „Quandt- Gruppe“ bezeichneten Unternehmungen. Dabei handelte es sich jedoch nicht um eine klassische Doppelspitze. Der Erbvertrag ihres Vaters sah vielmehr vor, dass jeder der beiden Brüder die Federführung für einen bestimmten industriellen Bereich erhalten sollte. Herbert übernahm die Verantwortung für die Beteiligungen im Batterie-, Automobil- und Kaligeschäft. Harald führte die Beteiligungen in der metallverarbeitenden Industrie. Dazu übernahm jeder der beiden Brüder den Aufsichtsratsvorsitz im jeweiligen operativen Bereich des anderen, und übergeordnete geschäftliche Entscheidungen wurden im so genannten „Viererkreis“ getroffen, der sich aus den Brüdern und ihren beiden Beratern – Horst Pavel und Gerhard Vieweg – zusammensetzte.
Dieses für die Zeit ungewöhnliche, aber sehr effiziente Modell industrieller Führung bestand über ein Jahrzehnt – genauer bis 1967, als Harald durch ein tragisches Unglück, einen Flugzeugabsturz, ums Leben kam. Mein Vater schrieb später über ihn:
„...tief empfundene Gefühle der Dankbarkeit habe ich [...] meinem Bruder gegenüber, [...] mit dem ich zwölf Jahre bis zu seinem Tode in ungewöhnlichem Einvernehmen zusammengearbeitet habe. Ja, in einer Harmonie, die in der Öffentlichkeit auffiel, ja Aufsehen erregte. Sein Familiensinn hat unsere Zusammenarbeit geprägt. Er wird mir unvergesslich bleiben“.
Unvergesslich blieb meinem Vater auch die Heimat Berlin. Nach dem Krieg verlegte Herbert Quandt den Familien- und Firmensitz wie erwähnt zunächst provisorisch nach Bissendorf bei Hannover, dann aus strategischen Gründen ins verkehrtechnisch zentral gelegene Frankfurt, später dann nach Bad Homburg. Doch wirklich heimisch, das hat er immer betont, hat er sich hier nie gefühlt.
Vielmehr empfand er Berlin, nicht Frankfurt, als geistigen und kulturellen Hintergrund der Familie Quandt. Ich erinnere mich noch heute an die an meine Schwester und mich als Teenager gerichtete Frage, ob auch wir uns als „vertriebene Berliner“ fühlen würden – und an seine Enttäuschung, als wir dies – beide in Hessen geboren und aufgewachsen – verneinten. Leider hat er aufgrund seines frühen Todes im Jahre 1982 die Wiedervereinigung nicht mehr miterlebt, an die er fest geglaubt und die er bei seinen Begegnungen mit Politikern immer wieder propagiert hatte.
Ich hatte Ihnen zu Beginn meiner Rede versprochen zu erläutern, warum wir heute von „100 Jahren Herbert Quandt“ sprechen, welche Spuren sein unternehmerischer Ansatz hinterlassen hat, und welche Facetten seiner Persönlichkeit uns und Vielen, die ihn kannten, heute noch präsent sind.
Als Erstes möchte ich dabei das Konzept eines aktiven Portfoliomanagements erwähnen, welches wir auch heute noch praktizieren. Dies beinhaltet selbstverständlich Akquisitionen und die langfristige Orientierung bei der strategischen Führung unserer Beteiligungen. Aber es schließt sehr bewusst auch den Rückzug aus Marktsegmenten und den Verkauf von Unternehmen ein. Alle Portfolioentscheidungen sind dabei immer das Ergebnis einer ständigen Überprüfung der eigenen Annahmen über Marktentwicklungen sowie der strategischen und operativen Positionierung des jeweiligen Unternehmens. In diesem Sinne führte Herbert Quandt als Nachfolger die von seinem Vater übernommenen Unternehmen zwar fort, setzte jedoch zunehmend persönliche Akzente und hinterließ so eine neue, individuelle Prägung in der Geschichte der Unternehmerfamilie.
Die im Rückblick stärkste Prägung des Quandt’schen Portfolios war unzweifelhaft der signifikante Ausbau der Beteiligung an BMW in den Jahren 1959/ 60. Mit den Details möchte ich Sie nicht langweilen, Sie kennen die Eckpunkte der Geschichte: Die desaströse Lage von BMW Ende der 50er Jahre, das Übernahmeangebot der Daimler-Benz AG, dann die spektakuläre Hauptversammlung 1959. Im Jahre 1960 dann die risikoreiche Entscheidung meines Vaters, die Kontrollmehrheit bei BMW zu übernehmen und der darauffolgende Aufstieg des Unternehmens.
Worauf ich Ihren Blick heute lenken möchte, sind die weitreichenden Konsequenzen dieser unternehmerisch hochriskanten Entscheidung, die unzweifelhaft bis zum heutigen Tage das Leben vieler Menschen positiv beeinflusst. Viele denken dabei sicher zuerst an unsere Familie, die unstrittig von der über Jahrzehnte hinweg phänomenalen Entwicklung von BMW profitiert hat. Aber viel wichtiger ist, dass BMW heute rund 100.000 Menschen einen Arbeitsplatz bietet – dies sind Arbeitsplätze, die heute noch zum überwiegenden Teil in Deutschland liegen und die nur in einem unabhängig und selbstbestimmt agierenden Unternehmen geschaffen werden konnten. All dies geht zurück auf die von ihm selbst so genannte „BMW-Passion“ meines Vaters, die er an seinem 60. Geburtstag folgendermaßen beschrieb: „...BMW ist mir ein Lieblingskind. [...] es gibt nun einmal Kinder, die einem stärker ans Herz wachsen, weil man sie krank übernommen und gesund hat pflegen müssen. [...] und so ist dieses nunmehr auf gesunden Füßen stehende Unternehmen eben sicher in einen Platz gerückt, der [...] sich einer besonderen Liebe erfreut.“
Auch bei BMW setzte Herbert Quandt seine Idee partnerschaftlicher unternehmerischer Verantwortung um, die für alle seine Beteiligungen galt und die für uns als Familie heute noch Gültigkeit hat: Die Führungskräfte erhielten großzügige Entscheidungsräume, und die Mitarbeitervertretungen wurden vertrauensvoll eingebunden.
Um diese Grundsätze anhand von wichtigen Wegbegleitern meines Vaters zu illustrieren, bietet es sich an, in chronologischer Reihenfolge mit der Einbeziehung der Mitarbeitervertreter zu beginnen. Denn bereits nachdem die Hauptversammlung im Dezember 1959 fehlgeschlagen war, bekam Herbert Quandt Besuch von dem jungen Kurt Golda, seinerzeit Milbertshofener Betriebsratsvorsitzender, später langjähriger Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates von BMW. Mein Vater hat sich erinnert, dass er damals mit ihm einen ganzen Tag über die „schwierige Situation bei BMW und die damit verbundenen, damals oft unlösbar erscheinenden Probleme“ sprach. Kurt Golda ist nach diesem Gespräch, so hat er später meinem Vater einmal gesagt, „beruhigt und zufrieden“ nach Milbertshofen zurückgekehrt.
Obwohl sie gegensätzliche Interessen zu vertreten hatten, hat Herbert Quandt das Verhältnis zu Kurt Golda später einmal folgendermaßen beschrieben:
„Ich glaube, dass es nicht sehr viele Unternehmer gibt, die sich in einer so aufgeschlossenen, offenen Art und so vertrauensvoll mit ihrem Betriebsratsvorsitzenden aussprechen und beraten können wie wir beide dies tun.”
Der Schlüssel hierzu war eine beiden Männern gemeinsame hohe Identifikation mit dem Unternehmen und ein sich daraus ergebendes – auch seitens Kurt Goldas – unternehmerisches Interesse am „Großen Ganzen”. Diesen kooperativen Ansatz mit der Arbeitnehmervertretung haben wir nach dem Tode meines Vaters in allen Beteiligungen beibehalten. Und er bildet – nicht zuletzt dank hoher personeller Kontinuität auf beiden Seiten – insbesondere bei BMW bis zum heutigen Tage die Basis für eine erfolgreiche und partnerschaftliche Zusammenarbeit von Vorstand, Aufsichtsrat und Präsidium.
Aber, meine Damen und Herren, natürlich reicht dies allein nicht aus. Denn selbstverständlich wird ein Unternehmen nicht von der Arbeitnehmervertretung, dem Aufsichtsrat oder gar dem Hauptaktionär geführt, sondern vom Vorstand. Diese tiefe Überzeugung galt insbesondere für meinen Vater, der aus diesem Grund seinen Geschäftsführern und Vorständen eine „lange Leine“ ließ. Bei dieser Führungsphilosophie wird die Auswahl des Vorstandsvorsitzenden zur Kernkompetenz des Unternehmers – und damit zu der Aufgabe, der Herbert Quandt seine größte Aufmerksamkeit widmete. In dieser Hinsicht war Ihre Bestellung, sehr geehrter Dr. v. Kuenheim, zum Vorsitzenden des Vorstandes von BMW zum 1. Januar 1970 Herbert Quandts Meisterstück. Keine sechs Monate später, an seinem 60. Geburtstag, drückte mein Vater bereits seine Zuversicht wie folgt aus:
„Wir haben uns in diesen Jahren, in denen Sie hier in Bad Homburg tätig waren, sehr gut kennengelernt, und ich darf hier einmal eine kurze Laudatio aussprechen. Ich habe den Wert Ihrer unternehmerischen Konzeption kennengelernt. […] ich habe empfunden und gesehen, Sie sind völlig von dem BMW-Bazillus erfasst, denn so […] kann man nur sprechen, wenn man ergriffen ist von der BMW-Passion.”
Leider verstarb mein Vater 1982 nach nur zwölf Jahren gemeinsamer Arbeit und vertrauensvoller Partnerschaft im Dienste von BMW. Aber wenn man diese Worte liest, weiß man, dass es Herbert Quandt zwar mit Stolz erfüllt hätte, auch die elf verbleibenden Ihrer insgesamt 23 Jahre an der Spitze des Vorstands mitzuverfolgen. Man lernt aus diesen Worten aber auch, dass ihn der Erfolg dieser Jahre in keinster Weise überrascht hätte.
Nach dem Einstieg und der gelebten Führungsphilosophie bei BMW als Beispiel für eine erfolgreiche Akquisition möchte ich Ihnen das von meinem Vater praktizierte „aktive Portfoliomanagement“ nun aber auch anhand einer Desinvestition illustrieren, die auf ganz andere Weise einen signifikanten Beitrag dazu geleistet hat, dass wir heute von „100 Jahren Herbert Quandt“ sprechen können: Der Verkauf des Aktienpakets an der Daimler-Benz AG an den Staat Kuwait im Jahre 1974.
Diese spektakuläre Transaktion hatte zwei Ursachen: Zum Einen sollten nach Harald Quandts tödlichem Flugzeugabsturz dessen Erben – das jüngste Kind war nur wenige Monate alt – ihren Anteil am Gesamtvermögen ausgezahlt bekommen. Zum Anderen hatte Anfang der 70er Jahre die Verschuldung einiger Unternehmen ein Niveau erreicht, welches eine deutliche Entlastung auch für das zum Verbleib bei Herbert Quandt vorgesehene Portfolio äußerst erstrebenswert erscheinen ließ. So einigten sich beide Familienzweige nach schwierigen Verhandlungen, den gesamten Besitz an Daimler-Benz-Aktien zu verkaufen. Zunächst bot man die Beteiligung den großen deutschen Banken an, darunter auch der bei Daimler-Benz bereits engagierten Deutschen Bank. Erst nachdem die Banken abgewunken hatten, suchte und fand man im Staat Kuwait einen ausländischen Käufer. Dass dieser Verkauf in den mittleren Osten nicht zuletzt auch von deutschen Bankvertretern öffentlich kritisiert wurde, hat meinen Vater sehr verärgert und auch tief enttäuscht.
Diese Transaktion war aber nicht nur aus familiären Portfoliogesichtspunkten und – wenn man die Beteiligungen arabischer Staaten in jüngerer Zeit betrachtet – im Sinne deutscher Wirtschaftshistorie wegweisend. Sie legte auch den Grundstein für eine weitere persönliche Beziehung, die gerade für uns Erben später von großer Bedeutung sein sollte.
Hans Graf von der Goltz war Anfang der 70er Jahre ins Günther-Quandt-Haus gekommen. Er trug maßgeblich dazu bei, meinen Vater von der Notwendigkeit einer signifikanten Entschuldung zu überzeugen. Vielleicht war es diese – vielleicht sogar schonungslose – Offenheit ihm gegenüber, die meinen Vater vom analytischen Verstand, aber vor allem auch der großen Loyalität Graf von der Goltz’ überzeugte. Auf jeden Fall wuchsen die beiden Männer in diesen schwierigen Jahren der familiären Vermögenstrennung eng zusammen, wie sich den Worten Herbert Quandts zum 10-jährigen Firmenjubiläum von Graf von der Goltz entnehmen lässt:
„Es waren manches Mal stürmische Zeiten, die wir gemeinsam durchlebten, und ich glaube, wir beide können es ruhig ganz offen zugeben, überglücklich waren wir, als 1973 durch die große erste Vermögenstrennung und 1976 durch den Schlussstrich unter diese Vermögenstrennung eine oft mit Verzweiflung betrachtete spannungsgeladene familiäre Gemeinschaft hinter uns gelassen werden konnte. Es war wirklich eine strapaziöse Zeit und […] so manches Mal mussten wir ‚hartes, ja sehr hartes Holz bohren’”.
Vor dem Hintergrund dieser engen und erfolgreichen Zusammenarbeit im Spannungsfeld zwischen Familie und Unternehmen war es nur konsequent, dass mein Vater später Graf von der Goltz gemeinsam mit meiner Mutter zu seinem Testamentsvollstrecker machte. Eine Aufgabe, die nach seinem Tod ein ganzes Jahrzehnt in Anspruch nehmen sollte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Kurt Golda, Eberhard v. Kuenheim und Hans Graf von der Goltz sind nur wenige Beispiele für die enge Beziehung, die mein Vater zu den Führungskräften und Mitarbeitern seiner Unternehmen pflegte. Und BMW und die Kuwait-Transaktion stehen auch nur exemplarisch für das aktive Portfoliomanagement. Es gäbe noch viele Dinge, die unter der Überschrift „100 Jahre Herbert Quandt“ und der Frage, welche heute noch sichtbaren Spuren sein Wirken hinterlassen hat, erwähnenswert wären. Sei es als Unternehmer das Konzept der „Realteilung“ der VARTA AG als ein „First“ der deutschen Wirtschaftsgeschichte, oder – weitgehend unbekannt – sein Einfluss auf die Einführung des Doppelstimmrechts des Aufsichtsratsvorsitzenden im Mitbestimmungsgesetz. Oder seien es die vielen persönlichen Facetten des Menschen Herbert Quandt, wie etwa sein Technikinteresse und sein Familiensinn. Für all dies fehlen der Raum und die Zeit.
Und so möchte ich diesen Teil meiner Rede mit einem Zitat Herbert Quandts beschließen, in dem er selbst sein Führungsverständnis zusammenfasst, welches meines Erachtens nicht nur bis heute, sondern noch weitere 100 Jahre Gültigkeit behalten wird – und zwar weil es den Menschen in den Mittelpunkt stellt:
„[Erfolge werden nicht erzielt], wenn man durch Druck regiert; nur die Begeisterung, die man bei seinen Mitarbeitern erzeugt, führt zur echten Leistung. […] Der Erfolg im Unternehmen […] ist wohl nur sehr selten auf eine einzelne Person zurückzuführen. Grundlage für alle Erfolge ist die gute Zusammenarbeit aller, gleichgültig, ob sie als Arbeiter in den Werkshallen hinter den Maschinen stehen, oder am Reißbrett oder Schreibtisch geistige Arbeit leisten. Wenn dann noch innerhalb der leitenden Herren, vor allem des Vorstandes, ein wirklich harmonisches Zusammenwirken gewährleistet ist, dürften die Erfolge dem Unternehmen nicht versagt bleiben.”
Sehr verehrte Damen und Herren,
sicher nicht zuletzt aufgrund seiner Erfahrungen in vier verschiedenen Staatssystemen hat sich mein Vater stark für freiheitliches Unternehmertum im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft engagiert. Nach seinem Wunsch sollte der Unternehmer wahrgenommen werden als Mensch, dessen Tun und Handeln sich über den ökonomischen Nutzen hinaus an Verantwortung für die Mitarbeiter und die Gemeinschaft ausrichtet. Herbert Quandt vertrat zugleich die Überzeugung, dass Wirtschaft den Menschen als Lebens- und Chancenraum erklärt und nahe gebracht werden muss. Hier sah er nicht zuletzt auch die Medien in der Verantwortung.
Erfreulicherweise empfinden dies heute auch die überwiegende Anzahl der Wirtschaftsjournalisten ähnlich. Laut einer bundesweiten Umfrage des Ernst-Schneider- Preises der Industrie- und Handelskammern gaben befragte Journalisten sogar an, Wirtschaftsthemen müsse noch mehr Platz eingeräumt werden. Sie wünschen sich mehr Zeit für die Recherche und Aufbereitung wirtschaftlicher Themen und sind der Ansicht, dass noch mehr getan werden müsse, um unternehmerische Zusammenhänge ihren Lesern, Hörern und Zuschauern zu vermitteln.
So denken auch wir, weshalb wir heute vor genau 25 Jahren den Herbert Quandt Medien- Preis ins Leben gerufen haben. Jedoch können wir auch nach 25 Jahren leider keinem Journalisten die Zeit schenken, die für das „Mehr“ der Recherche fehlt. Aber wir haben immer versucht – und werden dies auch weiterhin tun – Ihnen alle Jahre wieder einen Anreiz zu geben, sich trotz aller Widrigkeiten diese Zeit selbst zu nehmen.
Und so freue ich mich, wenn Ihnen nun Herrn Casdorff, Kuratoriumsmitglied der Johanna- Quandt-Stiftung, mehr über unsere diesjährigen Preisträger und ihre herausragenden wirtschaftsjournalistischen Beiträge erzählt, die ohne ein selbstbestimmtes, in gewissem Sinne unternehmerisches „Mehr“ an Zeit und Einsatz nicht zustande gekommen wären.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und übergebe nun das Wort an Sie, Herr Casdorff.