"Das Verhältnis von Staat und Markt steht auf dem Prüfstand"
Meine Damen und Herren,
was in den USA als Immobilienkrise begann und sich zu einer Bankenkrise in den USA und in Europa ausweitete, ist mittlerweile zu einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise historischen Ausmaßes herangewachsen. Das Ausmaß und die Folgen der Krise sind zurzeit noch nicht abzuschätzen. Seit Monaten ist die Krise in allen ihren Gestalten das Kernthema der Berichterstattung in den Medien. Mit Augenmaß und Sorgfalt haben viele Journalisten – darunter auch unsere Preisträger – Ursprung, Entwicklung und Folgen der Wirtschaftskrise erörtert. Viele negative Szenarien wurden beleuchtet, aber die Berichterstattung blieb sachlich und umsichtig. Dies hat sicherlich dazu beigetragen, dass wir im Herbst 2008 in Deutschland von einem „bank run“ verschont geblieben sind. Und auch dafür spreche ich den deutschen Medien meine Anerkennung aus.
Ein Thema ist in den vergangenen Wochen nun verstärkt in den Vordergrund gerückt: Das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft. Oder präziser gesagt: Die Rolle des Staates im aktuellen - und zukünftigen - Wirtschaftsgeschehen!
Die klare Aufgabenteilung zwischen Staat und Markt ist über Jahre die Erfolgsformel unseres Wirtschaftssystems gewesen. Der Staat garantiert die Regeln, hält sich aber als Akteur zurück. Der Unternehmer nutzt die Chancen des Marktes und ermöglicht mit der Schaffung von Arbeitsplätzen gesamtgesellschaftlichen Wohlstand.
Im Zuge der Globalisierung trat der Staat während der letzten Jahrzehnte immer weiter in den Hintergrund und musste dem Fluss von Geldern und Gütern über nationale Grenzen hinweg seinen Lauf lassen. Die in dieser Phase herrschende Meinung drückt das Bonmot des schwedischen Ökonomen Assar Lindbeck aus, der in den neunziger Jahren feststellte:
„Die Globalisierung ist der Schutz des Einzelnen vor seiner Regierung.“
Heute nun scheint das Leitbild der Globalisierung und der Entstaatlichung zu verblassen. Die kluge und bewährte Arbeitsteilung scheint außer Kraft gesetzt, der Einfluss des Staates steigt enorm – und zwar rund um den Erdball.
In unserem Land hat dieser Prozess mit der Rettung von Banken wie IKB, Sachsen LB, Commerzbank und HRE begonnen. Nachdem der Untergang von Lehmann Brothers von nahezu allen Experten als Initialzündung der sich verschärfenden Krise und damit als Kardinalfehler der US-Regierung angesehen wird, sind wohl die meisten dieser Rettungsmaßnahmen für „systemrelevante“ Finanzinstitute vertretbare Entscheidungen. Aber auch hier gibt es zumindest in der Wahl der Mittel – zum Beispiel im Falle des HRE-Enteignungsgesetzes – „Grenzüberschreitungen“.
Dies gilt auch für die Wirtschaft: Denn es ist erstaunlich zu sehen, dass nach Jahrzehnten, in denen die Unternehmen stets um jeden Zentimeter Abstand zum Staat gekämpft haben, sich in der aktuellen Krise inzwischen 1.100 Unternehmen um eine Unterstützung seitens des Staates beworben haben. Darunter sind nicht wenige, die aufgrund schlechten Managements bereits seit Jahren Verluste schreiben, oder die sich erst jüngst an gewagten Transaktionen verhoben haben. Dabei behauptete das eine oder andere Unternehmen in der Vergangenheit sogar noch stolz, völlig auf staatliche Subventionen zu verzichten. Es hat sich hier eine Dynamik entwickelt, die den BDI-Präsident Dr. Hans-Peter Keitel öffentlich die Mahnung aussprechen ließ, dass man es sich mit dem Ruf nach dem Staat „nicht zu leicht machen dürfe“, und es „Schamgrenzen geben müsse“.
Auch ich nehme dem Gros dieser Unternehmen ihre „Systemrelevanz“ nicht ab. Im Gegenteil: Manches Unternehmen würde dem „System Marktwirtschaft“ am meisten dadurch helfen, dass es gemäß der darin geltenden Regeln vom Markt verschwindet. In diesen Fällen ist es falsch und kurzsichtig, das gute Geld der Steuerzahler als Staatshilfe in Form von Krediten und Bürgschaften hineinzupumpen. Wenn überhaupt, dann sollte der Staat Chancenkapital und kein Casinokapital zur Verfügung stellen. Wir erleben aber, dass die Politik sich Zukunft kaufen will – und sei es die kurze Zukunft bis zur Wahl im September. Die gigantischen Kosten dieser Rettungsmaßnahmen werden aber von unseren Kindern getragen werden müssen. Ich finde dieses politische Handeln unverantwortlich.
Meine Damen und Herren,
auf den Fluren der Bundesbank kursierte vor einigen Monaten ein Witz:
Frage: „Wo ist der Unterschied zwischen Sozialismus und Kapitalismus?“
Antwort: „Im Sozialismus werden die Unternehmen erst verstaatlicht und gehen dann pleite. Im Kapitalismus gehen die Unternehmen erst pleite und werden dann verstaatlicht.“
Wenn es so weit gekommen ist, dann steht das Verhältnis zwischen Staat und Markt auf dem Prüfstand. Selten in der Geschichte Deutschlands war die Beziehung zwischen Politik und Industrie so angespannt wie in den vergangenen Monaten, hieß es neulich in der FAZ. Nie zuvor fühlte sich die Politik so verantwortlich für den Bereich von Wirtschaft, Unternehmern und Managern.
Ich bestreite nicht, dass der Staat in der Wirtschaftskrise eine besondere Verantwortung trägt, und dass ihm daraus neben neuen Pflichten naturgemäß auch neue Rechte erwachsen. Daher ich finde es auch nicht falsch, dass das komplexe Verhältnis zwischen Wirtschaft und Staat immer wieder überprüft und gegebenenfalls neu definiert wird. Aber: Kann es sein, dass der von Adam Smith beschriebenen „unsichtbaren Hand des Marktes“ plötzlich der starke Arm des Staates spürbar Einhalt gebietet?
Diese Frage stellt sich zumal, da der Staat - sozusagen im Windschatten der Krise - diverse Gesetzesregelungen anstrebt, die im Sinne einer Eigenverantwortung von und für Eigentum fragwürdig sind. Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen, die ich für besonders kritikwürdig halte:
Es werden nationale Obergrenzen für Vorstandsgehälter diskutiert. Dies ist nicht nur deshalb falsch, weil der Markt für Führungskräfte heute ein globaler ist. Es geht auch am Ziel vorbei, weil eine Ursache der Finanzkrise nicht darin lag, dass die Vergütung gestandener Führungskräfte mit Verantwortung für Zehntausende Mitarbeiter in einer Handvoll von Fällen zu hoch war. Ein wichtige Ursache für die Krise lag vielmehr darin, dass zu viele Mitarbeiter zu stark an den kurzfristigen Gewinnen eindimensionaler Transaktionen beteiligt wurden. Meiner Meinung nach ist das Branchenphänomen hoher sechs- oder gar siebenstelliger Vergütungen auf der vierten oder fünften Hierarchiestufe eines Unternehmens für die langfristige „seelische und moralische Gesundheit“ einer marktwirtschaftlichen Gesellschaft viel erheblicher als die Frage der Vorstandsvergütung.
Auch der Staat scheint dies erkannt zu haben. Aber wie reagiert er? Er möchte die in Verruf gekommenen Bonussysteme, sprich variable Vergütung, gleich komplett abschaffen. Dies wiederum negiert Grundbausteine der Marktwirtschaft: Das individuelle Gewinnstreben. Und die Regel, dass Leistung sich lohnen muss. Man darf auch hier das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.
Letztes Beispiel: Die geplante Karenzzeit für den Wechsel von Vorständen in den Aufsichtsrat. Man möchte durchsetzen, dass grundsätzlich kein Vorstandsmitglied direkt in den Aufsichtsrat wechseln soll, damit – lassen Sie mich überspitzt formulieren – der unabhängige Blick des Gremiums auf keinen Fall von zuviel Sachkenntnis des Einzelnen getrübt wird. Ich sehe in diesem Gesetz – ungeachtet der zuletzt eingeführten Ausnahmeregelungen – einen nicht akzeptablen Eingriff in die Eigentumsrechte der Aktionäre. Ihnen wird verboten - oder unzulässig erschwert –, einen erfolgreichen und ihrer Meinung nach charakterlich geeigneten Vorstandsvorsitzenden zur Wahrnehmung ihrer Rechte in den Aufsichtsrat zu berufen. Die Argumentation der Politik, man müsse mit derlei Maßnahmen die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats sicherstellen, ist scheinheilig: Denn die natürliche Parteilichkeit der Arbeitnehmervertreter wird nie thematisiert, und die Mitbestimmung auf Aufsichtsratsebene schon gar nicht in Frage gestellt.
Meine Damen und Herren,
die teils breite öffentliche Zustimmung zu derlei staatlichen Regelungen ist ein Beleg dafür, dass die Wirtschaftskrise nicht nur rein ökonomische Folgen hat, welche die Regierungen derzeit mit milliardenschweren Rettungspaketen abzufangen versuchen. Sie verändert auch die Wahrnehmung und das grundsätzliche Denken über den Kapitalismus und die Marktwirtschaft. Oder, wie Prof. Paul Kirchhof diese Situation neulich sehr treffend zusammenfasste: „Unser Denken ist verwirrt!“
So gibt es Fragen, deren Beantwortung uns noch vor zwei Jahren einfach schien - und uns heute, inmitten der Krise, schwerer fällt. Etwa: Muss der Staat die Wirtschaft wie ein Gärtner immer wieder zurückbinden, einhegen und beschneiden – kurz: Braucht die Wirtschaft neben den staatlichen „Leitplanken“ eine permanente Pflege ihrer Ordnung? Darf, ja sollte der Staat in bestimmten Branchen dauerhaft als Eigentümer auftreten? Bevor man auf diese Fragen grundsätzlich – das heißt nicht im Detail, sondern im tatsächlichen Wortsinne „grundsätzlich“- neue Antworten in Erwägung zieht, muss man weiter gehen und auch fragen: Was verändert sich, wenn der Staat in die Rolle des Unternehmers strebt und ganze Industriezweige auf den Kapitalfluss aus staatlichen Quellen angewiesen sind? Und auf die Metaebene bezogen: Würde eine globalisierte Wirtschaft, in der auf politischer Ebene das nationalstaatli-che Handeln einen großen Bedeutungszuwachs erfährt, langfristig ihre Leistungsfähigkeit behalten?
Meine Damen und Herren,
die Johanna-Quandt-Stiftung hat sich seit ihrer Gründung dafür eingesetzt, die Bedeutung des Unternehmertums in der marktwirtschaftlichen Ordnung zu fördern. Sie tut dies in der Überzeugung, dass ein demokratischer Staat für Wohlstand und Wachstum Unternehmer benötigt, die freiheitlich wirtschaften können und dabei die Verantwortung für ihr Handeln tragen. Als Aufgabe des Staates haben wir dabei immer angesehen, dem unternehmerischen Handeln und der privaten Initiative des Einzelnen durch rechtliche Rahmenbedingungen Raum und Verlässlichkeit zu garantieren – nicht weniger, aber auch nicht mehr.
nd ich möchte Ihnen hier und heute versichern: Für uns hat sich an diesem Grundverständnis nichts geändert. Und so möchte ich meine Anmerkungen mit einem zweiten Zitat von Professor Paul Kirchhof schließen, das als Richtschnur zur Ordnung „verwirrter Gedanken“, wie ich meine, gut geeignet ist:
„Wir haben eine gute Chance, die gegenwärtige Krise zu bewältigen; doch nicht, indem wir die Krise finanzieren und damit verstetigen, sondern indem wir zur verantwortlichen Freiheit, zum lauteren Wettbewerb, zu einem Markt mit persönlicher Haftung zurückkehren.“
Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich nun zum Festredner des heutigen Abends kommen:
Sehr geehrter Herr Dr. Schirrmacher,
vor zwei Wochen erhielten Sie den Ludwig-Börne-Preis für Ihre herausragenden Leistungen als Journalist und Schriftsteller. Die Laudatorin Necla Kelek bezeichnete Sie bei der Preisverleihung als einen „herausragenden Publizisten, streitbaren Autor und führenden Intellektuellen in Deutschland“. Dieser Aussage kann ich nur zustimmen und möchte Ihnen – sicherlich im Namen aller hier im Saal – ganz herzlich zu dieser Ehrung gratulieren.
Sie scheinen untrennbar vereint mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, uns allen besser vertraut als „FAZ“, bei der Sie bereits vor 25 Jahren als Hospitant anfingen. Mit Ihrem Gespür für Themen und deren unkonventioneller Aufbereitung, haben Sie sich über die Jahre in die klugen Köpfe Ihrer Leser geschrieben. Auch mit Ihren Büchern haben Sie ein großes Publikum erreicht. Ihr viel diskutiertes Buch „Das Methusalem-Komplott“ stand monatelang in den Bestseller-Listen. Hierfür wurden Sie mit der Goldenen Feder, dem Corine Sachbuchpreis und dem Jacob-Grimm-Preis ausgezeichnet.
Sie sind, und das meine ich als Kompliment, ein Querkopf und ein Ruhestörer unserer Gesellschaft. Sie sind ein ‚Themenfischer’ im wahrsten Sinne des Wortes. Ob Sie nun das Genom diskutieren, oder vor der Vergreisung der Gesellschaft warnen, Sie bringen die wichtigen Themen unserer Zeit zu den Menschen. So auch heute mit Ihrem Festvortrag mit dem Titel: „Krise und Medien“.